Crusie, Jennifer - Der Cinderella-Deal
dabei die Augen schließe, kann ich ihn vor mir sehen. Du siehst ihm ähnlich.«
Regungslos saß Linc da. So hatte seine Mutter noch nie mit ihm geredet. Das ist das Fieber, dachte er bei sich.
»Ich habe ihn sehr geliebt.« Ihre Stimme klang schwach und dünn. »Es war ein Wunder Gottes, dass er mich zurückgeliebt hat. Er war so groß und stark, genau wie du. Und dann habe ich ihn verloren.« Eine Träne rollte ihr über die Wange. »Ich rede mir ein, dass das ein Teil von Gottes Plan war, aber ich war schrecklich einsam. Achtzehn Jahre lang.«
Achtzehn Jahre lang allein. Bei dem Klang dieser Worte lief es Linc kalt den Rücken hinunter.
»Ich habe dir nicht genug Liebe gegeben.« Gertrudes Tränen flössen schneller. »Später, bei Wil und Ken, war alles anders. Bei ihnen habe ich alles besser gemacht. Aber dich habe ich damals nicht genug geliebt. Es tut mir leid.«
»Nein.« Er war unendlich verlegen, aber noch viel schlimmer war, dass er den Schmerz seiner Mutter nicht lindern konnte. »Nein, schon okay. Du warst eine gute Mutter.«
Schwach schüttelte sie den Kopf. »Nein. Aber jetzt ist alles gut. Jetzt hast du Daisy. Jetzt wirst du all die Liebe bekommen, die ich dir nicht geben konnte.« Nun weinte sie ganz offen, die Tränen liefen ihr die Wangen hinab, und Linc fühlte sich, als würde der Raum um ihn herum immer kleiner. Das hier durfte nicht passieren, er musste es aufhalten.
»Hör zu.« Er nahm ihre Hand und hielt sie ganz fest. »Du hast für mich gesorgt. Ich hatte genug zu essen, und meine Kleider waren immer sauber, und du hast dich nie eingemischt oder mich zu irgendetwas gezwungen. Du hast mir nie das Gefühl gegeben, ein schlechter Sohn zu sein. Du hast mir den Raum gegeben, um erwachsen zu werden, und du hast für mich gesorgt. Und es ging mir gut. Wirklich.«
»Aber du hast mehr verdient«, beharrte Gertrude. In ihren Augen glitzerten immer noch Tränen.
Er fuhr sich mit der Hand durch die Haare, weil er nicht wusste, was er als Nächstes sagen sollte. »Ich bin einfach nur froh, dass du nicht gestorben bist.« Er brach ab, als er begriff, wie wahr seine Worte waren. Er war froh, dass sie lebte, und er wollte nicht, dass sie alleine war und fror. »Hör zu, mir gefällt nicht, was du übers Alleinsein gesagt hast. Warum ziehst du nicht zu uns? Wir kümmern uns um dich.«
Jetzt weinte sie noch bitterlicher, und weil er nicht verstand, warum, saß er nur wie zur Salzsäule erstarrt da, bis Daisy hereinkam und ihm die Bibel aus der Hand nahm.
»Geh jetzt«, sagte sie. »Weinen ist Frauensache.« Als er sich nicht vom Fleck rührte, betrachtete sie ihn genauer und ermahnte ihn dann: »Atmen, Blaise.« Er holte tief Luft. »Und jetzt geh.«
Langsam stand er auf, und sie nahm seinen Platz auf der Bettkante ein. Dann zog sie ein Taschentuch hervor und tupfte Gertrudes Tränen weg. »Ich weiß ja, dass er wirklich scheußlich sein kann«, witzelte sie. »Aber das ist doch kein Grund zu weinen. Der Arzt sagt, du brauchst jeden Tropfen Flüssigkeit.«
Gertrude weinte leise weiter, die Tränen rannen ihr jetzt wieder schneller über die Wangen, und Linc fühlte sich miserabel.
»Was hast du zu ihr gesagt?«, fragte Daisy, aber zum Glück machte sie ihm keine Vorwürfe. »Worüber habt ihr gesprochen?«
»Über meinen Vater.« Linc holte tief Luft. »Und ich habe ihr gesagt, dass sie zu uns ziehen soll, damit wir uns um sie kümmern können.«
Er beobachtete, wie Daisy überrascht die Augenbrauen hob. Dann sagte sie: »Natürlich, das ist eine gute Idee. Und jetzt geh bitte. Koch uns einen Tee.«
Ihre Worte verwirrten ihn zwar, aber er ging trotzdem nach unten und setzte Wasser auf. Er fand auch die Plätzchen, die Daisy am Nachmittag gebacken hatte. Als er eine halbe Stunde später mit einem voll beladenen Tablett wieder nach oben kam, schlich sie gerade aus Gertrudes Zimmer.
»Sie schläft«, erklärte sie und streichelte ihm zärtlich die Wange. »Armer Schatz. Geht es dir gut?«
Linc lehnte sich gegen die Wand. »Solche Sachen hat sie noch nie gesagt.«
Sie ließ die Hand kurz auf seine Schulter sinken. Sofort vermisste er den Trost, den ihm die Berührung gespendet hatte. »Sie ist eben krank«, erklärte Daisy. »Da fühlen sich die Menschen verletzlich und sagen Dinge, die sie verbergen, solange sie sich stark fühlen. Lass uns den Tee unten trinken.«
Damit nahm sie ihm das Tablett ab und ging ihm voran ins Erdgeschoss. Er sah ihr nach und dachte an die Einsamkeit seiner
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