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Cruzifixus

Cruzifixus

Titel: Cruzifixus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans-Peter Dinesh Bauer
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beging, konnte er es bei seinen Talenten noch weit bringen: zum Professor an der Gregoriana, zum Assessor an der Rota, zum Präsidenten einer theologischen Kommission oder gar zum Sekretär einer römischen Kurienkongregation. Heute schien sich Bruder Dominikus jedoch eine Auszeit vom Kirchen- und Karrierestress zu gönnen und sich im Bier- und Blasmusikbiotop zu suhlen. Die dritte Maß Maibock ließen ihn sentimental und rührselig werden:
                „Weißt noch Simon, damals am Steineckerhof? Wie wir eine halbes Fassl von dem pappsüßen Beerenwein leer getrunken haben. Du hast dir die Marie gepackt und ich ihre Schwester, die Sonja. Das war vielleicht eine Mordsgaudi, als der alte Steinecker aufgekreuzt ist!“
                Simon lächelte gezwungen:
                „Ja, die Marie, das war eine wilde Hex. Die hat nichts anbrennen lassen.“
                In seinem Hirn rotierte es. Was gingen ihn die alten, aufgewärmten Geschichten an? Was ihn viel mehr interessierte war, ob Dirrigl etwas mit dem Verschwinden des Eremiten zu schaffen hatte. Zuzutrauen wäre es ihm allemal, zumal die beiden „Brüder in Christo“ nicht gerade auf einer Welle lagen. Simon bemühte sich einen harmlosen, unverfänglichen Ton anzuschlagen:
                „Den Steinecker Schorsch hab ich neulich auf der Straße getroffen. Er hat mir erzählt, dass die Polizei bei ihm war und ihn fast eine Stunde lang über den Hallhofer Egid ausgequetscht hat!“
                Simon nahm einen kräftigen Schluck aus dem Maßkrug, behielt dabei aber seine Zechkumpane im Auge. Mit einiger Verwunderung nahm er die Tatsache zur Kenntnis, dass das Schicksal des verschwundenen Eremiten die drei Kampftrinker absolut kalt ließ. Ewalds Blick irrte ins Leere, es war der Blick eines in den Tiefen des Alls unrettbar verlorenen Kosmonauten. Sebald reckte das Kinn, als ob er für das Mahnmal des unbekannten, anonymen Alkoholikers Modell saß. Und Dirrigl rollte mit den Augen, als ob er bei einer Casting-Show für die Rolle des Judas posierte. Simon insinuierte:
                „Ich frage euch: Wie kann jemand einfach so verschwinden?“
                Die Inkofler-Brüder stierten trübsinnig vor sich hin. Endlich erbarmte sich Sebald und zuckte hilflos mit der Schulter:
                „Ja Mei. Für jeden kommt der Tag, wo es Grabenbach zugeht.“
                Nach einer Schweigeminute schürzte Dirrigl seine wulstigen Froschlippen:
                „Wir wissen weder Ort noch Stunde! Der Herr kommt wie ein Dieb in der Nacht. Wir können nur hoffen und beten, dass unserem Bruder nicht schlimmes zugestoßen ist!“
     
    Eine Rose war eine Rose und eine dornige noch dazu! Was ein Einsiedler war, war glasklar: einer, der alleine lebte. Doch was war ein „Eremit“? Die Bedeutung des Begriffs war unscharf und bedurfte einer genaueren Definition. Was ein Eremit war, war mithin Interpretations- und Ansichtssache: ein beschränkter, etwas einfältiger Asket, ein mit hellseherischen Fähigkeiten begabter Weiser, ein unberechenbarer Eiferer mit stechenden Augen, der das Zeug zum Kuttenkiller hatte? Der „arme Bruder von Hochharting“, alias der „Alte vom Berg“ war jedenfalls ein ausgefallenes Exemplar der Gattung Mönch: ein rebellischer Geist, ein unnachgiebiger Querkopf, der den säkularen Staat als „gottlos“ geißelte, den Egoismus und Materialismus als Quelle alles Übels identifizierte und die Habsucht und Herrschsucht der Reichen mit scharfen Worten verurteilte. Die radikalen, sozialrevolutionären Überzeugungen des unbotmäßigen Fraters sorgten für erheblichen Zündstoff und brachten ihn in Konflikt mit den Ordensoberen und dem erzbischöflichen Ordinariat. Frater Ägid weigerte sich in aller Entschiedenheit von seinem Weg abzuweichen und ließ sich weder durch handfeste Drohungen noch durch diplomatische Überredungskünste weich machen. Er blieb hart und unbeugsam. Im letzten Halbjahr hatte Simon in der Rubrik „Kreuz und Quer“ in schöner Regelmäßigkeit über die hitzig geführten Debatten zwischen „Orthodoxen“ und „Neognostikern“, einer mystischen Bewegung mit eschatologischem Spin, berichtet. An dem streitbaren Pater schieden sich die Geister. Für seine Anhänger war der „Pater Angelus“ ein Prophet, wenn nicht gar ein Heiliger. Für Karriere-Kleriker vom Schlage Dirrigls war er hingegen ein renitenter Renegat, ein

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