Cruzifixus
diktierten Erinnerungen, die Memoiren aus der Feder von Louis Antoine Fauvelet de Bourienne dazu eine komplette Edition des Code Civil. Es kam ihm vor, als ob die Zeit rückwärts lief, als ob jeden Moment der Kaiser in Begleitung seiner Generäle das Zimmer betreten könne. Unter den martialischen Klängen schmetternder Fanfaren und wirbelnder Marschtrommeln hatte ihn sein Gastgeber am Arm genommen und seine Schritte wie zufällig zum Taktiktisch in der Mitte des Raums gelenkt, um dort mit einem der Bedeutung des Augenblicks gebührendem Ernst eine braunfleckige Karte zu entrollen:
„Ein unbezahlbares Unikat! Dieses von Militärkartographen aufgenommene Blatt habe ich bei einem Antiquar in der Rue Napoleon für einen Spottpreis erstanden. Es zeigt die Gegend um die Veroneser Klause. Das militärische Genie Napoleons bestand in seiner Fähigkeit, das Terrain zu sondieren, die Bewegungen des Gegners zu rekognoszieren und die feindlichen Truppenteile auszumanövrieren.“
Anhand der Stabskarte hatte Bruckmeier die Schlacht von Rivoli am 26. Nivôse 1797 en detail analysiert, das dünkelhafte, überhebliche Gebaren des österreichischen Offizierskorps desavouiert und die zögerliche Unentschlossenheit ihres Oberkommandanten Feldzeugmeisters Joseph Freiherrn Alvintzy von Berberek scharf kritisiert. Seine Wurstfinger waren wie Aasgeier über den Ort der Schlacht gekreist, um den „neuralgischen Punkt“, die ungeschützte Flanke der gegen Cavaion vorrückenden Österreicher, auszumachen. Seine Fingerknöchel hatten auf die einen Halbkreis bildenden Stellungen der Franzosen getrommelt, um endlich mit dem linken Arm die von den Truppen Massénas vollführte Zangenbewegung anzudeuten, der die Mausefalle zuschnappen ließ:
„Voilà! Die Österreicher tappen arglos in die Falle - und dieser Idiot von Alvintzy steht vor der Alternative: sich massakrieren zu lassen oder die Waffen zu strecken!“
Zur Feier des Tages hatte der Kommissar eine Flasche Chambertin aus dem Keller geholt. Mit markigen Worten beschwor er die Vision des tollkühnen, vom Nimbus des Siegs umgebenen Heroen:
„Bonaparte war ein Kind der Revolution. Sein Genius, sein unbeugsamer Wille brachten ihn ganz nach oben. Er hat sich seinem Platz im Pantheon neben Alexander und Cäsar erobert.“
Wie im Fieber hatten seine Augen glasig geschimmert:
„Auf den neuen Prometheus! Dem Propheten der reinen Vernunft! Möge sein Ruhm im hellen Glanze der Sonne von Austerlitz erstrahlen! A la victoire, pour le gloire!“
Der kleingewachsene Kommissar hatte seine Arme hinter den Rücken verschränkt und wie ein Somnambuler auf den vor ihm liegenden Schlachtplan gestarrt. Es war die Tragik aller Helden, dass die menschliche Natur die des heroischen Übermenschen fremd war.
Den Luchsaugen des Kommissars entging nichts. Als er des „Merkur-Manns“ ansichtig wurde, zeigte sich der Anflug eines Lächelns auf seinem gestrengen Gesicht. Er hob die Linke und winkte ihn gebieterisch zu sich. Bruckmeier begrüßte ihn mit ausgesuchter Freundlichkeit, unterließ es aber ihm die Rechte hinzustrecken:
„Ah, Capitaine Sternsteiner! Immer vorn an der Front, was?“
Bonaparte Bruckmeier schien tatsächlich erfreut zu sein ihn zu sehen. Es fehlte nicht fiel und er hätte seinen „capitaine“ wie einen seiner zum Defilee angetretenen Gardisten am Ohrläppchen gezupft. Simon begrüßte Bruckmeier mit allem schuldigen Respekt:
„Enchantez, Herr Kommissar. Ich war grad zufällig in der Gegend - und wenn bei uns schon mal was los ist, bin ich natürlich mit von der Partie. Weiß man schon was passiert ist? “
Bruckmeiers Rechte senkte sich in die Brusttasche seines Jacketts:
„Wenn Sie mich fragen gibt es keine Zufälle! Kommen Sie, gehen wir ein paar Schritte!“
Wohlweislich vermied es Simon, mit der Tür ins Haus zu fallen. Wer einem Provinzpotentaten oder Molkereimagnaten zum sprechen bringen wollte, musste geduldig sein, gut zureden und zuhören können. Bruckmeier schien indes nur auf jemand gewartet zu haben, dem er seinen Schlachtbericht in die Feder diktierten konnte:
„Mon ami, ich kann mich doch auf Sie verlassen?
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