Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Cruzifixus

Cruzifixus

Titel: Cruzifixus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans-Peter Dinesh Bauer
Vom Netzwerk:
gestoßen ist.“
                Im Gefolge Bruckmeiers rutschte er die Hangkante hinunter. Drei Beamte in Uniform versuchten mit vereinten Kräften einen schweren, sperrigen Gegenstand aus den Trümmermassen zu befreien. Man musste kein Kriminaler sein um zu erkennen, dass es sich bei dem Objekt um ein großes, hölzernes Wandkreuz handelte, zumal der angekohlte Leib Christi noch halb am Querbalken hing. Die Holzhaut des Heilands war kohlschwarz, was in das Aussehen eines Messias aus dem Mohrenland verlieh. Unter dem Korpus kam ein verkohltes Gerippe zum Vorschein. Selbst einen alten Haudegen wie Bruckmeier ließ der Anblick der verkohlten Leiche nicht gänzlich unberührt. Er pfiff scharf durch die Zähne und rief irritiert aus:
                „Parbleu! Was soll das? Spielen wir hier Golgatha?“

Die Masche der Moiren
    Amor osculo significatur, necessitas nodo! Das Zeichen der Liebe ist ein Kuss, dass der Notwendigkeit ein Knoten.
     
    Wie eine Silbersichel schnitt sich der Halbmond in die Tintenbläue des Himmels. Die Hügelketten am Horizont leuchteten in unwirklichen, wie per Photoshop nachbearbeiteten Farbtönen. Ein hauchdünner, blassblauer Lichtstreifen markierte die Stelle an der die Sonne dem Virgilswinkler Land den Rücken gekehrt hatte. Über ihm rauschten die Blätter im Abendwind. Simon lehnte an den mit Flechtenflecken inkrustierten Stamm eines mächtigen Lindenbaums – der indes nicht am Brunnen vor dem Tor sondern oben auf der Sinninger Höhe stand. Die Linde war anno 1886 anlässlich eines Besuchs des bayerischen Prinzregenten Luitpold auf der kahlen Hügelkuppe gepflanzt und seitdem vom Heimat- und Verschönerungsverein Wörwang liebevoll gehegt und gepflegt worden. Der Wind hatte sich gedreht und kam nun direkt aus Süden. Simon knöpfte seine Strickjoppe zu. Sobald die Sonne über alle Berge war, wurde es hier oben rasch ungemütlich. Ein kalter Lufthauch strich von den Wipfeln und Gipfeln herab. Das schwarz und schwärzer werdende Gewölbe des Firmaments versetzte ihn in eine elegische Stimmung. Die unendlichen  Weiten des Weltraums kannten kein menschliches Maß, im Kosmos verschoben sich die Relationen, verknoteten sich die Ellipsen aus Raum und Zeit. Und zwischen den Sternhaufen und Galaxien war nichts als Leere, tat sich der Abyssus des „Horror Vacui“ auf. Im Südwesten funkelte der Abendstern hell und glänzend. Simon hatte nie verstanden, weshalb manche Menschen an die Macht der Gestirne glauben, warum Sie im Horoskop nach den Aspekten der Planeten, nach Konjunktionen, Sextilen und Trigonen Ausschau hielten. An Abenden wie diesen fragte er sich allerdings, ob er unter einem Unstern geboren war. Windböen wehten Klangfetzen an sein Ohr. Simon wandte den Kopf: drei wenig Vertrauen einflößende Gestalten flegelten auf den Stufen der Aussichtsplattform. Aus den kakophonischen Disco-Dissonanzen ihres Ghettoblasters schälte sich das furiose Finale der „Carmina Burana“ – und zwar im orientalisch angehauchten Dancefloor-Mix. Die sylphenhaften Eunuchenstimmchen greinten, schluchzten und beklagten den Flattersinn Fortunas:
                „O Fortuna, nunc obdurat, et tunc curat ludo mentis aciem, egestatem, potestatem dissolvit ut glaciem.“
                Fortuna war eben Frau: launisch, unbeständig und wetterwendisch. Unablässig drehte Sie am Rad und ließ die Kugel rollen, bis ihr ihre Jünger hörig waren. Irgendwann jedoch verließ einen jeden das Glück. Der Eunuchenchor winselte und flehte um Gnade:
                „Sors immanis et inanis, rota tu volubilis, status malus, vana salus semper dissolubilis!“
                Die Moiren, die Töchter des Zeus und der Themis, spannen die Schicksalsfäden, webten und wirkten ein unsichtbares Netz, in dem sich der Mensch heillos verstrickte. In der Odyssee stand der Begriff „Moira“ für das Unabwendbare: das Schicksal und den Tod. Die Welt, ja selbst die Götter beugten sich dem Gebot der Notwendigkeit, der Macht der Ananke. Mit den Schicksalsmächten war wahrlich kein ewiger Bund zu flechten – die Größen des Geists hatten dies gewusst. Wie der blinde Sänger Homer, der dabei den durchs brennende Troja irrenden König Priamos vor Augen hatte. Die ineinander verwobenen Stimmen hangelten sich an einem unsichtbaren Seil nach oben:
                „Obumbrata et velata mihi quoque niteris; nunc per ludum dorsum nudum fero tui sceleris.“
               

Weitere Kostenlose Bücher