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Cruzifixus

Cruzifixus

Titel: Cruzifixus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans-Peter Dinesh Bauer
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zwei im Schein der Kerzen funkelnde Christbaumkugeln:
                „Ein Teil von uns existiert weiter – aber nur der energetische Teil, der sogenannte Astralleib. In der Antike nannte man diese Existenzform Schemen oder Schatten.“
                Simon hatte indes desöfteren die Erfahrung machen müssen, dass es auch hienieden auf Erden Menschen gab, die nur ein Schatten ihres Selbst waren.
     
    Es ging gegen Mitternacht. Die Welt hing schief in ihren Angeln. Nebelschwaden krochen aus der feuchten Erde. Ein einsamer Wanderer trat aus den Schatten der Eichen und betrachtete die beiden oben auf dem Hügel lagernden Gestalten mit unverhohlener Neugier. Dort zwischen den Bäumen stand niemand anders als Ahasver. Der ewige Jude hatte auf seiner 2000 Jahre währenden Wanderung die Welt mehr als einmal gesehen. Und er hatte gesehen wie sie sich veränderte und die Menschen doch immer dieselben armseligen Geschöpfe blieben. Wer waren die zwei düsteren Gesellen? Am Anfang seiner ruhelosen Wanderschaft, in den Zeiten des Tiberius oder Neros, hätte er auf Schächer, Briganten oder Wegelagerer getippt. Im Mittelalter hätte Ahasver hingegen den Schluss gezogen, dass die beiden struppigen Gesellen zwei herumzigeunernde Bettelmönche waren. Zumal die eherne Ordensregel dekretierte, dass Brüder nie allein, sondern stets zu zweit auf Pilgerschaft zu gehen hatten. Schon in den Evangelien der Anhänger jenes falschen Messias aus Nazareth stand geschrieben: Dann rief er die Zwölfe zu sich; gab ihnen die Vollmacht, die bösen Geister auszutreiben und sandte sie zu Zweien aus. Zu zweit! Im näher kommen wurde Ahasver allerdings stutzig. Diese Typen da oben konnten nie und nimmer Mönche sein. Bettelbrüder würden vieles tun - das Gebot der „Temperantia“, der Mäßigkeit, würden Sie nicht auf solch unbotmäßige Weise mit Füßen treten. Die beiden Spitzbuben benahmen sich so, als ob sie in der Schankstube Satans tafelten. Sie becherten und zechten wie die Palastwachen des Herodes, rülpste und furzte wie der Vielfraß Gargantua. Ahasver nuschelte in seinen Spitzbart:
                „C’est affreux! Wie die Schweine! Jehova wusste schon, weshalb er dieses unreine Borstenvieh verschmähte.“
                Ahasver wandte sich deprimiert von Degout und verschwand wie von Geisterhand. Oben am Lagerfeuer erwachten Simon und Vinzenz aus einer tiefen, todesähnlichen Trance. Irgendetwas war anders als gewohnt, aber Sie wussten nicht zu sagen was. Wie hätten Sie auch wissen sollen, dass ihnen Ahasver begegnet war? Um die beängstigende, lähmende Stille zu übertönen, rief Vinzenz:
                „Komm Simon, trinken wir was. Nimm einen Schluck!“
                Eine Aufforderung, der Simon nur allzu gern Folge leistete. Der hochprozentige Birnbrand rann wie ein Lavastrom durch die Gurgel. Schwermütig seufzend setzte Vinzenz hinzu:
                „Den hat der Onkel Ägid gebrannt. Er hat immer gesagt: Was wie’s höllische Fegfeuer brennt, hat der Himmel geschickt! Wo er wohl jetzt grad ist?“
                Ein Gähnen unterdrückend hielt sich Simon die Hand vor den Mund:
                „Ich hoff weder im Himmel noch im Fegfeuer!“
                Im rötlichen Widerschein des Feuers sah Vinzenz einem Faun bei einem dionysischen Bacchanal zum verwechseln ähnlich:
                „Geschichte wiederholt sich. Das Problem daran ist nur, dass man nie weiß wann und wie.“
                In Vino Veritas. Am Boden des Krugs lag ein Senfkorn von Wahrheit. Im Zustand der Trunkenheit öffnete sich ein drittes Auge - das Zyklopenauge auf der Stirn, das tief blicken ließ.
     

Der Ring des Gyges
    Penitentiam agite, approprinquavit enim regnum coelorum! Tuet Buße, das Himmelreich naht!
     
    Im Morgengrauen ereilte ihn die Rache Montezumas. Unter kolikartigen, konvulsivischen Spasmen war Simon schweißgebadet erwacht. Unter Aufbietung seiner letzten Kräfte hatte er sich zur Toilette geschleppt. In seinen Eingeweiden rumorte es, in seinen Gedärmen blubberte und schäumte es. Sein Blähbauch hatte sich angefühlt wie ein prall aufgepumpter Fahrradschlauch, der jeden Moment zu platzen drohte. Wie ein Häuflein Elend war er lange Stunden auf der Schüssel gehockt, um unter heftigen Krämpfen eine dünnflüssige, pestilenzialisch stinkende Brühe abzusondern. So musste sich jemand fühlen, dem eine Überdosis

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