Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Cruzifixus

Cruzifixus

Titel: Cruzifixus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans-Peter Dinesh Bauer
Vom Netzwerk:
packte ihn bei den langen Ohren und schnitt ihm mit dem Messer die Kehle durch. Als Büttel und Spießknechte verkleidete Wölfe wuchteten den Kadaver auf eine Abdeckerkarre. Auf dem Schindanger las ein Wolf in Mönchskutte die Totenmesse für ihn. Ringsum standen andere Esel in bäuerlicher Tracht und lauschten mit demütig gesenkten Köpfen der Predigt. Auf dem letzten Bild saß ein prächtig herausgeputzter Wolf – wohl der Anführer des Rudels – im vollen Ornat, mit Mitra und Krummstab, auf dem Bischofsstuhl und segnete die sich begierig um ihn drängende Menge der Esel. Pfleiderer zupfte ihm am Ärmel:
                „Wie gefällt ihnen die Fabel vom Wolf und vom Esel? Die Message ist unmissverständlich: Adel und Geistlichkeit schinden und schaben das gemeine Bauernvolk. Offensichtlich war dies hier einmal der geheime Versammlungsort einer Gemeinde der Waldbrüder, die die radikale Armut in Christi predigten, den Reichtum des Klerus verdammten und im heiligen Geist den Heilsbringer sahen.“
                Simon stand wie gebannt, wie hypnotisiert vor diesen Bildern aus einer ihm fremd und bizarr erscheinenden Welt: Verbarg sich in diesen vor Jahrhunderten gemalten Bildern ein Hinweis auf das Hier und Heute? Hatte jemand die Lehren Fiores für sich „entdeckt“ und unter Gleichgesinnten Gefolgsleute rekrutiert? Existierte eine geheime Bruderschaft im Untergrund, die sich den verschrobenen Ideen und Idealen jener mittelalterlichen Sekte verschrieben hatte? War Pater Ägid ihr geheimer Oberer? Einmal mehr schienen die Grenzen zwischen Phantasie und Realität zu verwischen und zu verfließen.
     

Die Leviten des Lichts
    Nemo timendo ad summum pervenit locum! Der Furchtsame gelangt nie zum höchsten Ziel!
     
    Unsanft entglitt er den Armen des Morpheus. Das zarte Gespinst der Traumfäden zerriss, Bruchstücke schemenhafter Bildsequenzen lagerten sich als Seelensediment am Boden der Realität ab. Sein erwachendes Ich erhielt verstümmelte Telegramme aus der zwielichtigen Halbwelt, Absender unbekannt. Da waren Splitter von Gedanken, die sich aus dem Unterbewussten speisten, an der Brust von Schlafes Bruder saugten, ehe Sie zu Ungeheuern heranwuchsen, die mit der schillernden Kraft ihrer Worte prangten:
                „Ward jemand nicht gefunden im Buch des Lebens, ward er verworfen vor Gott und bestimmt zum Untergang im Schwefelpfuhl des Satanas.“
                Mit der urtümlichen Wucht einer Riesenwelle wurde er von einer wahren Bilderflut überschwemmt. Einem Ertrinkenden gleich ruderte er an Land, schnappte nach Luft – doch fürs erste blubberten lediglich Wortblasen nach oben: Fiore! Die Waldbrüder! Das jüngste Gericht! Die Welle wich zurück und sog die auf den Strand gespülten aquatischen Wesen, die Najaden und Nymphen, die Tritone und Nixen, mit sich. Der heranbrandende Schmerz ließ ihn jäh zusammenzucken. Simon riss die Augen weit auf. Lichtlanzen durchbohrten seine Pupillen und drangen ihm tief ins Gehirn. Während die Schaltzentrale hektisch versuchte, die Rechner hochzufahren und die Systeme zu checken, registrierten die Sensoren höchst beunruhigende Abweichungen von den Parametern. Irgendetwas stimmte nicht! In den übermittelten Daten wimmelte es von unerklärlichen Deviationen und Abweichungen von den normalen, morgendlichen Messwerten. Er befand sich an einem ihm gänzlich unbekannten Ort – und nach seiner inneren Uhr zu schließen, war es bereits nach Mittag. Was war passiert? War er überfallen, betäubt und hierher verschleppt worden? Das Notfallprogramm wurde aktiviert, die Drüsen schütteten gewaltige Mengen an Kortisol und Adrenalin aus. In ihm herrschte ein heilloses Durcheinander, seine Gedanken schlugen Purzelbäume. Hatte man ihm ein Betäubungsmittel injiziert, war er mit einem Hypno-Strahler paralysiert worden? Jedenfalls war er wie gelähmt, fühlte sich wie ein Allergiker nach einem anaphylaktischen Schock, fühlte sich wie ein U-Bootkapitän, der die feindliche Zerstörerflotille genau über sich wusste. Endlich getraute er sich das Periskop auszufahren, um Ausschau nach den Archen der Angreifer zu halten. Verwundert erkannte er, dass sein Boot offenbar vor der Küste Madagaskars lag: die Insel sah aus wie eine Keule, die einer der Titanen wutenbrannt in den Ozean geschleudert hatte. Um ihre Nordspitze herum hatte Neptun oder einer seiner Adlaten Sandkörner aus der Büchse der Pandora ins Meer gestreut. Bei genauerem Hinsehen

Weitere Kostenlose Bücher