Cruzifixus
Wallfahrerkolonne herum, so als ob es darum ging, den gen Himmel fahrenden „Kosmonauten“ ein letztes Statement zu entlocken. Sein Kameraknecht watschelte wie eine kreuzlahme Krickente hinterher. Simon rümpfte angewidert die Nase:
„Amateure! Und so was nennt sich dann Journalist!“
Die Kruzifix-Karawane näherte sich derweil ihrem Ziel, der Elendskapelle. Immer deutlicher drang der müde Singsang der alten Weiber an sein Ohr:
„Den Herren will ich loben, es jauchzt in Gott mein Geist. Denn er hat mich erhoben, dass man mich selig preist.“
In regelmäßigen Abständen setzte die Bläsersektion einen Kontrapunkt zu dem sich schwerfällig dahin schleppenden Gesang:
„An mir und meinem Stamme hat Großes er vollbracht, und heilig ist sein Name, gewaltig seine Macht.“
Dies war das Stichwort für Sagmeister. Der Merkur-Fotograf ging gewohnt energisch zu Werk. Ohne sich um das lautstarke Protestgeheul des TV-Reporters zu bekümmern, stieß er den Idioten an der Kamera zur Seite, um sich ein freies Schussfeld zu verschaffen. Mit einem gewissen Stolz auf seinem Mann an der Front, sah Simon wie sich Sagmeister direkt vor dem Fahnenträger aufbaute und ihn erst vorbeiließ, nachdem er die Szene im Kasten hatte: Die Merkur-Männer verstanden eben ihr Handwerk! Währenddessen jauchzte der Chor:
„Barmherzig ist er allen, die ihm in Ehrfurcht nahn’, die Stolzen lässt er fallen, die Schwachen nimmt er an. Es werden satt aufstehen, die arm und hungrig sind, die Reichen müssen gehen, ihr Gut verweht im Wind.“
Die Bläser hielten angesichts des Schlussrefrains ehrfürchtig inne:
„Die Sonne ist des Himmels Ehr, doch dein Gesetz, Herr, noch viel mehr!“
Simon hatte genug gesehen, genug gehört. Ihm war kalt und es konnte jeden Moment zu regnen anfangen. Er hatte gute Lust das Interview sausen zu lassen. Das konnte er notfalls am Telefon holen. Er würde den Bericht vom Vorjahr nehmen und ein paar Bemerkungen zur Krise des Katholizismus und die aktuelle Diskussion über eine stärkere Beteiligung von Laien an den Gottesdiensten einfließen lassen. Warum sollte er im Regen stehen? Ehe er sich auf den Weg zum Auto machte, warf er einen letzten Blick auf die sich vor der Kapelle versammelnden Himmelfahrer. Der neue, seines Wissens aus Litauen oder Polen stammende Pfarrvikar schlug das Kreuz und erteilte mit schweren, slawischen Zungenschlag seinen Segen:
„Der allmächtige Gott beschütze uns vor allem Unheil, der Segen des Vaters, des Sohnes und des heiligen Geistes komme auf uns herab! Der Herr sei alle Zeit mit euch!“
Er verneigte sich vor dem Marienheiligtum, hüstelte und begann mit näselnder Stimme zu psalmodieren:
„Ehre sei dir, o Herr! In jener Zeit begab sich Jesus zu seinen Jüngern und sprach zu ihnen: Ich bin der Weinstock, ihr seid die Reben. Wer in mir bleibt und ich in ihm, der bringt viele Frucht.“
Das Gequatsche des alten Balten konnte er sich sparen. Während Simon den Hügel hinab lief, läutete das Telefon Sturm. Simon meldete sich:
„Ja Sternsteiner hier, hallo?“
Ein atmosphärisches Rauschen, dann hatte er Bruckmaiers schrilles Fistelstimmchen im Ohr:
„Mon capitaine. Immer wohl auf! Ich dachte, dass würde Sie interessieren. Wir haben die verbrannte Leiche aus Hochharting identifiziert. Bei den Toten handelt es sich um einen gewissen Valdas Rakauskas. 33 Jahre alt, geboren in Vilnius. Letzte bekannte Adresse: ein Priesterseminar in Rom. Vielleicht liegen Sie mit ihren Vermutungen ja gar nicht mal so falsch. Alors, a bientot, mon ami!“
Simon stand da und staunte mit offenem Mund. Erst als die ersten Regentropfen von Himmel fielen, löste sich seine Starre.
Der Narr des Nazareners
„ Quod semper, quod ubique, quod ab omnibus fidelibus ex scriptura receptum fuit. Katholisch ist, was immer, was überall und vor allen Gläubigen aus der Schrift übernommen worden ist."
Der Weg nach oben war steinig und steil. Vor ihm lag der Engpass von Münstermünz. Tobend und tosend bahnten sich die wilden Wasser der Ache ihren Weg durchs Nadelöhr der
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