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Cruzifixus

Cruzifixus

Titel: Cruzifixus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans-Peter Dinesh Bauer
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beseitigte er die Spuren seines unfreiwilligen Schlammbads und stapfte missmutig brummend durch den knöcheltiefen Morast:
                „Zefix! Was zum Teufel will ich hier? Wieso hocke ich nicht am Schreibtisch und sitze die Sache aus? Aber Nein!“
                Sollte doch kommen, was kommen wollte. Er hatte die Schnauze jedenfalls gestrichen voll.
     
    Mit Schindeln gedeckte Almhütten umstanden auf drei Seiten einen kleinen Hof, in dessen Mitte ein aus Feldsteinen gemauerter Ziehbrunnen zerfiel. Simon sah sich um: die Fensterläden waren verrammelt, die Türen verriegelt. Nichts deutete daraufhin, dass die Hütten bewohnt waren. Das „Alm-Ensemble“ machte einen verwahrlosten, auf den Hund gekommenen Eindruck. Wo war Vinzenz? Wo war der Eremit? Auf leisen, angespannten Sohlen umrundete er das Almanwesen. Nichts! Es war kein laut zu hören, kein Licht zu sehen. Simon entfernte sich ein paar Hundert Schritte von der Alm und bestieg einen konischen, sichtlich von Menschen Hand aufgeschütteten Erdhügel. Dort hatte ein Archäologenteam vor ein paar Jahren einen Aufsehen erregenden Fund gemacht: kunstvoll gearbeitete Schwertklingen, mit Münzen gefüllte Tonkrüge, Goldfibeln und Silberschnallen, mit Runen und Schlangensymbolen ziselierte Amulette, dazu fünf Skelette, denen man den Schädel eingeschlagen hatte. Die Archäologen hatten den Schluss gezogen, dass hier inmitten der Einöde in den Jahren um Christi Geburt ein mächtiger Keltenfürst bestattet worden war. Dass diese Gegend ein besonderer, mystischer Ort war, war den Bauern der Gegend seit langem bekannt. Im Mittelalter wurde am Urtelstein, einem gewaltigen Findlingsfelsen, der einer Legende nach von einem Riesen namens Tyr auf die Almfläche geschleudert worden war, Recht gesprochen. In der Johannisnacht tagte dort das Halsgericht der Gnotschaft, um über „Malefikanten, Wildfrevler und Spitzbuben aller Art“ zu Gericht zu sitzen und drakonische Strafen an Leib und Leben zu verhängen. Die Pfandler-Alm stand also nicht von ungefähr im Ruch ein unheimlicher, von Gespenstern heimgesuchter Ort zu sein. Der „genius loci“ hatte Dichter und Sänger des vorigen, die Natur romantisch verklärenden Jahrhunderts, zu Moritaten und Melodramen, zu Schauspielen und Heimatromanen inspiriert. Überdies war die Waldwildnis oberhalb von Münstermünz der Schauplatz einer dramatischen Begebenheit, der Wildererschlacht vom Wildmoos, gewesen: im Spätherbst des Jahres 1877 war der Wildschütz Kajetan Speckbacher, der bereits zu Lebzeiten legendäre „Wilderer vom Pendelstein“, zusammen mit vier seiner Kumpane von einem sechzehn Mann starkem Detachement der königlich-bayerischen Gendarmerie unterm Kommando des Sergeanten Josef Grünauer in ihrem Versteck umzingelt worden. Grünauer, ein ehrgeiziger, unleidiger Stutzer, hatte ohne den Wildschützen Zeit für ein „Pater noster“ zu lassen, das Feuer eröffnet. In einem von ihm verfassten Pamphlet rechtfertigte Grünauer unter dem Titel „Über die am 6ten Novembris anno Domini 1877 bei der Pfandleralm geweste Bataille“ seine brutale Vorgehensweise:
                „Das edelste Gefühl der Treue gegenüber dem hochlöblichen, bayerischen Königshaus hieß mich hier hart durchgreifen. Unter den obwaltenden Umständen erschien es mir unangebracht und fahrlässig, Gnade wider den Insurgenten Speckbacher und seine räuberische Rotte walten zu lassen. Vielmehr sah ich es als meine heiligste Amtspflicht an, ein abschreckendes Exempel an dem Diebsgesindel zu statuieren.“
                Ein einziger Wilderer war dem Gemetzel entkommen: Bartholomäus Hallhofer, die rechte Hand Speckbachers. Hallhofer hatte die Unachtsamkeit einiger Gendarmen ausgenutzt und sein Heil in der Flucht gesucht. Doch schon eine Woche darauf gelang es Grünauers Gendarmen den Gesuchten im Kirchenwirt zu Himmelham zu arretieren. Grünauer hatte Himmel und Hölle in Bewegung gesetzt, dass das „kriminelle Element“ zügig abgeurteilt und unter dem Beisein von Zeugen guillotiniert wurde. Anlässlich des 125. Jahrestags der Schlacht waren Schützenkompanien, Brauchtumsgruppen und Heimatverbände am Grab der im „Freiheitskampf“ gefallenen Helden aufmarschiert, hatte der rauschbärtige Ehrenschützenkommandant Kraxenberger eine flammende, zu Herzen gehende Rede gehalten, in der er Speckbacher zum furchtlosen, unerschrockenen Streiter für die Armen und Rechtlosen hochstilisiert hatte. Ein bayerischer

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