Cruzifixus
Sie sagen! Bitte! Tun Sie mir nichts!“
Paintinger spannte die Muskeln, machte sich sprungbereit. Schließlich trug er seinen „nom de guerre“ nicht umsonst! Wer nichts wagt, nichts gewinnt. War er nicht der Nachfahre unerschrockener Wildschützen? Hatte er nicht einst mit Gott gewettet, dass er aus härterem Holz als jedes Kruzifix geschnitzt war? Paintinger murmelte in seinem Bart:
„Jesus, steh mir bei!“
Mit Todesverachtung hechtete er zur Seite, geriet ins straucheln und fiel der Länge nach hin. Er rollte ein stückweit den Hang hinunter, versuchte seinen Verfolger irgendwie zu entkommen. Sein Atem ging stoßweise, sein Blick irrte hektisch hin- und her. Wo steckte der hinterhältige Halunke? Er blinzelte, sah nach oben und blickte in den abgesägten Lauf eines Karabiners. Das Spiel war aus, rien ne va plus! Wie durch Gazeschleier hörte er eine herablassende Stimme. Eine Stimme, die er kannte, die er wieder erkannte, die sein Blut in den Adern gefrieren ließ:
„Paule, Paule! Was ist bloß aus dir geworden? Stolperst über dein eigenes Gewehr. Bist über die Jahre etwas eingerostet, was? Also Amigo auf geht’s, gehen wir! Dawai!“
Dieser Lump, dieses Kameradenschwein machte sich lächerlich über ihn. Furcht und Wut verzerrten sein Gesicht. Er wollte sich aufbäumen, um Hilfe schreien, brachte jedoch nur ein gestammeltes
„Verrecken sollst, du Scheißkerl! Von mir erfährst du nix!“
hervor. Eine grenzenlose Verzweiflung schnürte seine Brust. Die Gestalt über ihn trat einen Schritt zurück, spannte den Hahn und herrschte ihn an:
„Halt dein Maul, du Judas. Steh auf! Ich zähl bis Drei. Eins…!“
Er spürte wie der kalte Regen auf seiner fieberheißen Haut zischte, wie sein Herz gegen den Brustkorb hämmerte:
„Zwei…!“
Wie ein gehetztes, in die Enge getriebenes Wild blickte er sich verzweifelt um. Er war wehrlos, musste beim Salto seinen Stutzen verloren haben. Er wollte einen Schrei der Verzweiflung ausstoßen, sich wie ein wilder Stier auf den siegesgewissen Matador stürzen. In seinem Gesicht zuckte es konvulsivisch, seine Kinnlade klappte hilflos auf und zu, doch er brachte kein Wort über die Lippen:
„Drei…!“
Das Stahlmantelgeschoss zertrümmerte seine Schädeldecke, sein Kopf zerplatzte wie eine überreife Wassermelone. Der schwere Körper kippte wie ein nasser Sack zur Seite. Der Tod war ein Wimpernschlag, der Hell von Dunkel trennte, eine Schwelle hinter der sich die Unendlichkeit dehnte und nichts war, denn die Finsternis einer mondlosen Nacht.
Die Jäger des Jesus
Mundus quasi quidem liber scriptus digito Dei . Die Welt ist gleichsam ein von Gottes Hand geschriebenes Buch.
Die Bibel war ein belletristischer Bestseller geworden – trotz erheblicher literarischer Mängel. Seine Aussichten als Autor zu reüssieren und einen Knüller zu landen, waren da weit geringer. Simon Sternsteiner schwante Schlimmes. Das Gespräch mit seinem potentiellen Verleger verlief alles andere als nach Wunsch. Er wurde das Gefühl nicht los, gegen eine Mauer von Ignoranz und Arroganz anzurennen. In der Manier eines zerstreuten Physikprofessors blätterte er in seinem druckfrischen Manuskript herum, fand endlich die mit rotem Marker angestrichene Stelle. Simon setzte eine bedeutsame, dem Augenblick angemessene Miene auf. Er räusperte sich laut vernehmlich und hub an, aus seinem noch unveröffentlichten Manuskript mit dem viel versprechenden Titel „Mythos Berghof“ zu zitieren:
„Hitler war ein zwiespältiger, schizophrener, um nicht zu sagen pathologischer Charakter. Ein Demagoge der Bierhallen, der auf eine unausgesetzte Wiederholung des Gesagten setzte und mit Vorliebe zu hypertrophen, rhetorischen Stilmitteln griff. Seine zur Schau gestellte Heimatverbundenheit war einerseits pure Propaganda, reine Marketingmache und aufgeputzte Fassade. Auf der anderen Seite kam dem verbummelten Bohemien, der völlig unfähig war, ein geregeltes Leben nach bürgerlichen Maßstäben zu führen, die Rolle des im Volk verwurzelten Naturburschen, des saloppen Sommerfrischlers sehr entgegen.“
Simon schob eine rhetorische Kunstpause ein, um den
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