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Cruzifixus

Cruzifixus

Titel: Cruzifixus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans-Peter Dinesh Bauer
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nachfolgenden Sätzen mehr Gewicht zu verleihen:
                „Der Berghof wurde so zum fixen Fluchtpunkt des Führers. Der romantisch verbrämte Rückzug in eine idealisierte Bergwelt enthob Hitler einerseits seinen als lästig empfundenen realpolitischen Verpflichtungen, lieferte ihm andererseits den Stoff für Mythenbildungen und bildete ein beeindruckendes Szenarium für medienwirksame Auftritte.“
                Simon hüstelte gekünstelt und zog das Resümee seiner stringent entwickelten Darlegungen:
                „Am Obersalzberg fand der Diktator die Naturbühne, die er für seine Selbstinszenierungen brauchte. Als äußerst günstig erwies sich dabei die Lage des Bergs im Schnittfeld mehrerer ineinander verwobener mythologischer Kraft- und Kulturfelder.“
                Mit einem unschuldigen, unbeschwerte Unbekümmertheit simulierenden Augenaufschlag blickte er von seinem Manuskript auf. Tatsächlich! Sein vis-à-vis erweckte den Eindruck, als ob ihn seine stilistisch fein geschliffene Analyse von Hitlers Psychogramm beeindruckt hatte. Rainfrieds Lider waren geschlossen, seine wie zum Gebet gefalteten Pianistenhände lagen entspannt auf seinen wohlgenährten Wohlstandsbäuchlein. Der Marketingmann, der Sales Manager in ihm schien angestrengt nachzudenken, die Überlebenschancen eines Historienschinkens im Piranha-Pool auszuloten, nach der Nische im Markt der Manuskripte zu suchen. Da teilten sich seine Lider wie ein Theatervorhang. Simon blickte in zwei starre, unbewegliche Echsenaugen, in denen es boshaft und tückisch funkelte:
                „Hitler, der Berghof, die mythologischen Kraftfelder, nun gut! Wenn ich recht verstehe, spielst du hier die Rituale der Degradierung durch, um daraufhin quasi als Gegenentwurf eine ferne, vergangene Idealwelt zu evozieren. Eine Frage Simon: Wen interessiert das? Wer soll so etwas bitte schön lesen?“
                Eine zarte Zornesröte entflammte seine Hamsterbäckchen. Simon spürte wie sich ein Knoten in seiner Brust bildete, Wut und Enttäuschung eine gefährliche Allianz eingingen. Es war ein aberwitziges, unsinniges Unterfangen gewesen, sein akribisch recherchiertes, quellenhistorisch fundiertes Werk diesem notorischen Nörgler und Besserwisser, diesem sarkastischen Beckmesser zur Begutachtung vorzulegen.
                Der Umstand, dass er und Rainfried alte Schulfreunde waren, schmälerte eher noch die eh schon minimalen Erfolgsaussichten auf die Bestsellerlisten zu gelangen. In den letzten Jahren hatte er ganz bewusst den Kontakt abgebrochen und war jeder Konfrontation aus dem Weg gegangen. Die Zeit hatte indes keine Wunden geheilt: wie im alten Klassenraum der 11 B lag eine unerträgliche Spannung in der Luft, unausgesprochene Vorwürfe und Anschuldigungen standen wie ein Menetekel an der Wand. Jedes aufrichtig gemeinte Wort, jede Geste guten Willens versank in einem Sumpf von gegenseitigem Misstrauen und Argwohn. Er hätte nicht hierher kommen dürfen, sich nicht auf feindliches Terrain vorwagen sollen. Simon erinnerte sich nur mit Widerwillen an seine Schulzeit, an die Zeit da er und Rainfried Klassenkameraden gewesen waren. Die Attitüden, Posen und Plattitüden eines Bohemien-Rebellen erschienen ihm heute pubertär und pennälerhaft. In den Jahren vor dem Abitur war er unstet, aufrührerisch und aufsässig gewesen, hatte nach neuen Herausforderungen, neuen Freunden gesucht. Da war Rainfried genau der „Richtige“ gewesen: Eloquent, eigenwillig, exzentrisch! War es Zufall oder Schicksal, dass Sie im „Collegium Musicum“ des vergeistigten Musikprofessors Walter Lämmle nebeneinander saßen und die Mäuler spitzten? Rasch hatten Sie sich auf die Modalitäten eines Nichtangriffspakts verständigt, um sich gegenseitig den Rücken frei zu halten. Im Ernstfall fochten Sie wie Achilles und Patroklos Seite an Seite. Mit vereinten Kräften gelang es ihnen fast mühelos die Phalanx der Bauerntölpel zu zerbrechen, die rüpelhaften Rotzlöffel in die Flucht zu schlagen. Ihre Komplizenschaft änderte indes nichts an der Tatsache, dass Sie Rivalen im selben Revier waren: jeder wollte der Primus, der Dominante, der Tonangebende sein. Sobald die äußere Gefahr vorüber war, entbrannte zwischen den beiden „Alphatieren“ ein erbarmungsloser Konkurrenzkampf. In der Schule, im Orchester oder beim Judo: immer und überall versuchten Sie sich gegenseitig aufs Kreuz zu legen, den anderen in

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