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Cruzifixus

Cruzifixus

Titel: Cruzifixus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans-Peter Dinesh Bauer
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trauter Zwietracht mit Theosophen und Philologen, Monisten und Deisten im „Corpus Christi“ herum, deuteten, interpretierten und legten die Worte des Herrn nach ihrem Gusto aus. Simon räusperte sich:
                „Wer also war er? Ein Demagoge, ein Desperado? Ein Scharlatan, ein Schwärmer? Ein im eschatologisch, endzeitlichen Gedankenkreis gefangener Weltuntergansvisionär?“
                Jeder halbwegs Halbgebildete, jeder ambitionierte Pseudogelehrte hatte von Säkulum zu Säkulum die Feder gespitzt, die Tinte verspritzt um sich ausgiebig über Jesus Christus zu verbreiten und halbseidene Hypothesen in sein Elaborat einzustreuen. Die Quelle jedoch, aus der die evangelischen Epigonen schöpften, floss in Wahrheit so spärlich wie ein Wadi in der Wüste.
     
    Zu Lebzeiten Jesu war jedenfalls niemand auf die Idee verfallen zur Feder zu greifen, um von den Taten Jesu zu künden. Kein Wort über die Bergpredigt oder die Wunderheilungen, kein Wort über den Kreuzestod und die Auferstehung von den Toten. Niemand im Umkreise Jesu schien es für nötig befunden zu haben, die Gleichnisse, Hyperbeln und Parabeln des Meisters aufzuzeichnen. Weder die Kaste der jüdischen Schriftgelehrten noch die römischen Historienschreiber hatten dem Leben und Wirken des Jesus von Nazareth, immerhin dem „Rex Iudaeorum“, auch nur eine Zeile gewidmet. Sollten Römer wie Juden die Kreuzigung des Messias, des „Judenkönigs“ nicht mitbekommen haben? Oder bot sich dafür eine andere Erklärungsmöglichkeit an: die Angelegenheit war so heikel und unerfreulich, dass man sie totgeschwiegen hatte. Simon starrte ins Dunkel der Neumondnacht hinaus:
                „Wer war Jesus wirklich? Ein Rebell, ein Renegat? Ein Prahlhans, ein Wirtshaushocker? Ein Schwindler, ein Schwätzer?“
                Es kam ihm mächtig verdächtig vor, dass sich erst nach dem Fall von Jerusalem, also 40 Jahre post mortem, die Anhänger Jesu formierten und die Propagandisten Christi daran gingen Papyrusrollen und Stöße von Pergament mit den Sinnsprüchen, Sentenzen und Aphorismen des Meisters zu füllten. Warum? Die fanatische Zelotenbande wie die engstirnige Pharisäerkaste hatte das jüdische Volk in die Katastrophe geführt. Nach der Schleifung der Tempelmauern, nach dem Fall der Felsenfeste Masada suchten versprengte, jüdische Gruppen nach einer neuen Identifikationsfigur, nach einer Projektionsfläche für ihre enttäuschten Hoffnungen. Auf Straßen und Plätzen begann man sich Wunderdinge über den Rabbi Jeschua zu erzählen, wie Efeu rankten sich plötzlich Legenden um die Gestalt des gekreuzigten Galiläers. Die Vita Jesu wurde zurechtgebogen und zurechtgestutzt, die näheren Umstände seines Lebens und Sterbens verschwanden in einen mythischen, von Weihrauch umwölkten Nebel. Denn die Wahrheit war wie so oft unbequem. Prediger wie Paulus umgaben die Idealfigur des Christus, des Gesalbten, mit einer überirdischen Aura, mit dem Nimbus des Göttlichen. Jesus war die Galionsfigur, der Frontmann, um das Evangeleion, mithin die frohe Botschaft, unter das nach Wundertätern lechzende Volk zu bringen. Die Jünger der Jesus-Sekte verteilten wie heutzutage die Zeugen Jehova ihre PR-Papyri am Forum und warben mit der Aussicht auf ein paradiesisches Leben nach dem Tod neue „Brüder in Christo“. Simon suchte nach Worten, seine Gedanken zu fassen:
                „Jesus von Nazareth: der Saga nach der Sohn, respektive das Lamm Gottes. Er tritt inkognito unter einer verwirrenden Vielzahl von Namen auf: Messias alias Salvator Mundi alias Heiland alias Menschensohn. Eine Lichtgestalt, die seinen Stellvertretern, den Gemeindevorstehern und Bischöfen, den Patriarchen und Archimandriten, den Popen und Päpsten als Legitimation ihrer geistigen wie säkularen Macht dient. Um ihre Vorrangstellung, ihren Absolutheitsanspruch in allen Glaubensfragen zu behaupten, beriefen sich Pontifex & Co. bis heute auf den Messias-Mythos - wer wie Jesus Christus aus der Wahrheit ist, kann nicht irren.“
     
    Ein Blick auf die grünlich leuchtenden Display-Anzeigen am Armaturenbrett genügte. Er lag gut in der Zeit. Wenn er nicht noch in einen Stau geriet, würde er pünktlich in der „Taverna Ithaka“ einlaufen. Welche Szene der Passion Christi barg das größte dramatische Potenzial? Die Nacht- und Nebelaktion am Ölberg? Der große Auftritt des Prokurators Pontius Pilatus? Jesus auf dem steinigen Weg hinauf nach Golgatha?

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