Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Cruzifixus

Cruzifixus

Titel: Cruzifixus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans-Peter Dinesh Bauer
Vom Netzwerk:
Gewaltige Scheinwerferbatterien tauchten den Unfallort in ein gleißendes, grellweißes Licht. Simon hatte ein blümerantes Gefühl im Bauch. Wenn irgend möglich vermied er es, über Unfälle, Katastrophen und menschliche Dramen zu berichten. Da war er zu sehr Mensch und zu wenig Reporter. Vor einer halben Ewigkeit hatte er als Springer beim RDR gejobbt, daher wusste er was ihn erwartete: glühende Metallmetastasen, wie Papier aufgebogenes Blech, der widerliche Gestank nach verschmortem Gummi und verbrannten Fleisch.
                Im Licht der Scheinwerfer ähnelte das Stahlgerippe eines Trucks, der sich über die ineinander verkeilten Fahrzeugwracks geschoben hatte einer surrealistischen Skulptur. Ein Teil der Fahrerkabine hing frei schwebend in der Luft. Es sah so aus, als ob das weit aufgerissene Monstermaul des Dieseldinosauriers nach einem unter ihm liegenden Karosseriekadaver schnappte. Ein beißender, ätzender Gestank nach Benzin und Gummi stach ihm in die Nase. Simon schaltete auf Autopilot, nahm seine Umgebung nur noch durch den Filter seines Kamerablicks wahr: die metallischen Gebilde, die einmal ein Opel, BMW oder VW gewesen sein mochten, waren zu kubistischen Plastiken verformt. Der Kameramodus hatte einen Vorteil: er verzerrte die Perspektive und verengte das Gesichtsfeld bis zum Tunnelblick.
                So ließ sich das Leiden, das Sterben aus einer gewissen Distanz, von einer Art Metaebene aus betrachten. Die deformierte, bizarre, anästhetische Ästhetik des Grauens ließ die Realität hinter sich, transzendierte sie in eine irreale, alptraumhafte Phantasiewelt. Simon hatte genug gesehen, hatte genug Bilder „im Kasten“. Er wandte sich zum gehen, da versperrte ihm die hünenhafte Gestalt eines schnauzbärtigen Feuerwehrmanns den Weg. Der Hüne deutete mit dem Zeigefinger auf ihn:
                „Du da! Ja ich rede mit dir! Was hast du hier zu suchen? Unbefugte haben keinen Zutritt zur Unfallstelle! Also!“
                Ein tückisches Lächeln ließ seine Wulstlippen hervortreten:
                „Hast gehört? Abflug, aber dalli!“
                In Simon regte sich Widerspruch. Seit seiner Schulzeit hatte er ein Problem mit wichtigtuerischen, großspurig und anmaßend auftretenden Autoritäts- und Respektspersonen. Er hegte eine unbezwingbare Aversion gegen Amts- und Uniformträger, die sich wie ein orientalischer Pascha aufführten.
                Er hielt dem verdutzten Feuerwehrmann seinen Presseausweis unter die rote Säufernase und ging zum Angriff über:
                „Simon Sternsteiner, Chefredakteur beim Merkur. Was ist denn passiert? Das sieht hier aus, als ob eine Bombe eingeschlagen hat. Wie viele Einsatzkräfte sind schon vor ort, Herr…?“
                In die Defensive gedrängt, schwand die Selbstsicherheit des behelmten Hünen:
                „Brandl Korbinian, Hauptmann bei der Freiwilligen Feuerwehr Grassau. Ein Unglück dieses Ausmaßes, hab ich in meiner über 30-jährigen Berufspraxis noch nicht erlebt. Kommen Sie bitte mit nach hinten. Da drüben ist es wirklich brandgefährlich!“
                Simon schlug einen konzilianten, vertraulichen Ton an, um jeglichen Dissens von vornherein zu vermeiden:
                „Sie sind der Boss! Wie sieht es aus, können Sie schon etwas zum Unglückshergang und zu möglichen Opferzahlen sagen?“
                Der Grassauer Schluckspecht fühlte sich sichtlich geschmeichelt:
                „Wir wissen noch nichts Genaues! Gehen wir zum Leitstand hinüber, vielleicht wissen die schon mehr! Vorsicht! Passen Sie auf die Schlauchleitungen auf, da fällt man leicht drüber.“
                Er schmierte den um die Sicherheit seines „Gasts“ besorgten Brandlöscher Honig um den Bart und würdigte die Verdienste der Freiwilligen Feuerwehren im Lande. Seine Lobhudeleien zeigten Wirkung, jedenfalls wurde Brandl gesprächig:
                „So wie’s aussieht, ist der aus Richtung Rosenheim kommende Brummifahrer wohl am Steuer eingenickt und ungebremst in das Stauende vor der Baustelle am Ödbach-Viadukt gekracht. Der Aufprall hat die Fahrzeuge wie eine Ziehharmonika zusammen geschoben. Ein Kleintransporter, ein Lieferwagen und vier weiterer Pkws sind direkt ins Unfallgeschehen verwickelt. Die Insassen der Unfallwägen, nun ja! Was soll man dazu

Weitere Kostenlose Bücher