Cruzifixus
ein oder andere seiner Geschäftspartner hat den hinterhältigen Schweinehund sicher mehr als einmal zum Teufel gewünscht. Wie ich die Sache sehe, hat sich Paintinger mit seinen erpresserischen Mafia-Praktiken einen Feind zu viel gemacht.“
Simon transponierte Vronis Hypothesen auf eine mediale, metaphysische Ebene:
„Möglicherweise hat er den Padrino betrogen. Oder er wurde Opfer des Malocchio – des bösen Blicks. Hexen sollte man besser nicht belügen oder betrügen.“
In Vronis Augen lag ein belustigter Schimmer.
Simons Lippen saugten sich wie Saugnäpfe am Weinglas fest. Was wusste er über den Ermordeten, was wusste er über Paulus Paintinger? Handel und Wandel waren nie sein Metier gewesen. Den Wirtschafts- und Börsenteil des Merkurs las Simon prinzipiell nie. Er hatte keine Ahnung was Basketzertifikate, Mini-Max Floater oder Junk-Bonds waren, was mit einschlägigen Fachbegriffen wie Leverage-Effekt, Shareholder-Value oder Volatilität eigentlich gemeint war.
Im letzten Herbst hatte er allerdings eine PR-Geschichte über die „ökologisch-ökonomische Neuorientierung der heimischen Holz- und Papierindustrie“ aufs Auge gedrückt bekommen. In dem Artikel hatte er das Hohelied des freien Unternehmertums angestimmt, die Innovationskraft der Paintinger-Gruppe, ihre umweltschonenden Verfahrensmethoden in den Himmel gelobt. Paintinger hatte gleich nach Kriegsende begonnen, die Parzellen überschuldeter oder vom Krieg entwurzelter Waldbesitzer aufzukaufen. Das Geld hierfür stammte angeblich aus dem florierenden Handel mit Armeefahrzeugen, Altmetall und Schrottteilen. Es kursierten indes Gerüchte, dass der „Panzer-Paule“ damals auch Schwarzgeld aus obskuren Quellen gewaschen und reinvestiert hatte. Heute regierte er als „Senior Chef“ ein riesiges Imperium: über 200.000 Hektar Wald – zum Großteil Fichtenmonokulturen, die Schnittholz für Möbel- und Furnierwerke, Hackschnitzel für Blockkraftwerke und die Zellstoffindustrie lieferten. Über eine Holding-Gesellschaft namens „PAINTWOOD“ war die Gruppe an Pressspanfabriken und Papiermühlen beteiligt. Was an den Bilanzen vorbeilief, konnte Simon nur erahnen. Selbst als Laie war ihm im Laufe der Recherchen klar geworden, dass Paintinger ein Meister des kapitalistischen Fachs war: er verstand sein Geschäft, beherrschte die subtilen Spielregeln des Markts, wusste um die Kunst des Restrukturierens, Diversifizierens und Liquidierens, nutzte jedes gesetzliche Schlupfloch, um seine Gewinne am Fiskus vorbei auf irgendwelche Geheimkonten in Liechtenstein oder auf den Cayman Islands zu schleusen. Vor einigen Jahren hatte er sich aus dem aktiven Geschäft zurückgezogen und widmete sich seinen Steckenpferden, der Jagd und der ökologischen Forstwirtschaft.
Wie dereinst Sokrates den Schierlingsbecher leerte Simon den bitteren Kelch des geharzten Weins bis zur Neige. Obschon Dionysos, der Gott des Weins, der Trunkenheit und der wilden Orgien, ein waschechter Hellene gewesen war, gelang es seinen Nachfahren erstaunlicherweise nicht einen echten Spitzenwein, einen Barolo, einen Blauburgunder oder einen Bordeaux zu keltern. Entschlossen stellte er sein Glas beiseite:
„Die Sache stinkt wie eine Kloake im Hochsommer.“
Vroni wog ihre Worte auf der Goldwaage:
„Ich denke die Kripo sieht das ganz ähnlich wie wir. Der Mörder oder sein Auftraggeber sitzen im Kreis seiner Konkurrenten und Kontrahenten. Paintinger ist zwar offiziell raus aus dem Geschäft - aber wer weiß welche alten Rechnungen da noch zu begleichen waren.“
Simon rieb sich die Spürnase. Er war ein begeisterter Freizeit-Kriminologe, der mit den neusten Methoden der forensischen Medizin, der Gerichtspathologie und der DNA-Analyse vertraut war, mit Kommissar Wallander oder Commissario Montalbano ins Bett ging:
„Um einen Kriminalfall zu lösen, muss man die schwarzen Flecken auf den weißen Westen sichtbar machen! Wäre es nicht möglich, dass Paintinger in dunkle Geschäfte mit der Kirche verwickelt war - das Kreuz wäre dann so etwas wie ein Fingerzeig!“
Vroni wölbte ihre Brauen zu Fragezeichen. Ihre Stimme bekam einen ironisch, sarkastischen Beiklang:
„Die Kirche, das Kreuz – nun ja! Wer nach Analogien sucht, wird
Weitere Kostenlose Bücher