Cruzifixus
einer Rockergang auf dem Kriegspfad:
„Oi!Oi!Oi! TNT! I’m Dynamite! TNT!“
In den Feldern und Hügeln um Oböd herrschte Krieg. Ein unerklärter, mit aller Härte geführter Grabenkrieg zwischen zwei unversöhnlichen Widersachern. Simon kam die Galle hoch:
„Wie ein Hund sollst verrecken, du Drecksau!“
Seine Rache würde furchtbar wie die Jahwes und Jehovas zusammen sein. Vor ohnmächtiger Wut knirschte Simon mit den Zähnen. Manchmal wähnte er sich der Verzweiflung, dem Irrsinn nahe. Es gab Momente in denen er drauf und dran war sich mit dem Tranchiermesser auf den Mistkerl zu stürzen. Es gab Nächte da erschien ihm der Oböd-Bauer in seinem schwarzen Lederhabit wie ein Dämon in Menschengestalt, wenn nicht gar wie der personifizierte Satan. Sein boshaftes, tückisches Grinsen verfolgte ihn bis in seine Alpträume: in einem Schützengraben liegend, dem Trommelfeuer der Jauchebatterien hilflos ausgeliefert.
Korbinian Parsifal Irrsigel schien seine Lebensaufgabe darin zu erblicken, das Gras seiner Wiesen Tag für Tag mit Gülle zu glasieren. Wiederholt hatte er an Irrsigels Vernunft appelliert, hatte die weitschichtig mit ihm verwandten Inkofler-Brüder als Vermittler eingeschaltet, um das Kriegsbeil zu begraben und zu einem für beide Seiten akzeptablen Kompromiss zu gelangen. Um seinen guten Willen zu demonstrieren, hatte er dem mürrischen, mundfaulen Finsterling einige Ster minderwertiges Brennholz samt einem Kanister selbst gebrannten Obstlers zu Wucherpreisen abgekauft und ihm obendrein drei Kästen Bio-Bier spendiert. Ja er hatte dem Jauche-Jünger zu verstehen gegeben, dass er auf den Kulturseiten eine Eloge auf Irrsigels Black Metal Band „Razor Lounge“ platzieren wolle. Vergebens! Seine diplomatische Initiative war bereits im Vorfeld an der starrköpfigen, unversöhnlichen Haltung der Gegenpartei gescheitert.
Was sollte er den Odel-König Einhalt gebieten? Phasen tiefer Depression wechselten mit Phasen hektischer Betriebsamkeit. Ganze Nächte hatte er über einen Schlachtplan gebrütet, um die gegnerische Infrastruktur zu zerstören und die Maschinerie lahm zu legen. Bei Nacht und Nebel war er um das Anwesen des Oböders geschlichen, um potentielle Schwachstellen im Verteidigungsring des Hofs auszubaldowern. Der springende Punkt war, dass ein zähnefletschender Zerberus auf dem Hof patrouillierte. Wie sollte er unter diesen misslichen Umständen bis zu den Garagen vordringen, um einen Sabotageakt an den Gerätschaften zu verüben? Dazu müsste er zunächst den bissigen Köter ablenken oder besser noch mit einem giftigen Köder außer Gefecht setzen. Letztendlich hatte jedoch die Vernunft die Oberhand behalten und er hatte den kniffligen Fäkal-Fall der renommierten Anwaltskanzlei Seitz, Ertl & Huber übergeben. Doch mit welchem Ergebnis? Der Rechtsstreit zog sich in die Länge, kostete ihm ein Vermögen und der Misthaufen-Mephistopheles trieb derweil ungestraft sein Unwesen! So durfte es nicht weitergehen. Simon warf sich in die Pose eines zum Kampf entschlossenen Heroen:
„Alles was Recht ist, aber jetzt reicht es!“
Fürs erste würde er das BGB und das StGB konsultieren, die einschlägige Rechtsprechung studieren und nach Präzedenzfällen suchen. Das Wort war noch immer die mächtigste Waffe im Kampf wider die Mächte der Finsternis.
Am Anfang war das Wort. Und das Paradies war ein Buch. Oder besser gesagt eine unendliche Anzahl von Büchern, die in einer der Phantasie Piranesis entsprungenen Bibliothek aufbewahrt wurden: antike Papyrusrollen neben mittelalterlichen Pergamenten, wertvolle Elzevierdrucke und auf dem Index gesetzte Inkunabeln. Ein literarischer Turm von Babel, in denen Autoren in griechischer, lateinischer, hebräischer, arabischer, französischer, spanischer, englischer, skandinavischer, russischer und deutscher Sprache Geschichte und Gedichte schrieben, sich ihre Gedanken über Gott und die Welt machten, die kleinen und großen Ereignisse im Leben eines Menschen zu Prosa und Poesie, zu Essays und Enzyklopädien, zu Melodramen, Trauerspielen und Komödien verarbeiteten. In den mit lichten Farben ausgemalten, mit allegorisch, bukolischen Darstellungen geschmückten Lesesälen warteten dicke in kostbares Leder gebundene Wälzer und fettleibige Folianten in himmelhohen, aus edlen Hölzern
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