Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Cruzifixus

Cruzifixus

Titel: Cruzifixus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans-Peter Dinesh Bauer
Vom Netzwerk:
gewissen Lenz von Liebensteins. 1903 im Astaria-Verlag erschienen. Leider wies das Kolophon nur Spuren des Stempels einer Leihbibliothek aus dem XX. Wiener Gemeindebezirks auf, kein Exlibris masonicum, kein Vermerk, dass die „Brüder“ einst einer Nazi-Größe gehört hatte. Eine Rarität, aber eine wertlose. Die ältesten, wertvollsten Bücher stammten aus den Beständen „säkularisierter“ Klosterbibliotheken, die wiederum sein Großvater dem versoffenen Spross einer verarmten Brauereidynastie abgeluchst hatte: Heiligenviten, Homilien- und Predigttexte, Breviere, Mess- und Mirakelbücher, vom missionarischen Feuer der Gegenreformation durchglühte Streitschriften. Die Exlibris-Signets in den Umschlägen waren verräterisch: die Bücher hatten sich dereinst im Besitz diverser Klöster wie der Abtei Hohenhaslach oder dem Kanonissinenstift Wildenwörth befunden. Außer ein paar zerfledderten, vom Tintenfraß gezeichneten Handschriften etwas älteren Datums handelte es sich um Drucke des 17. und 18. Jahrhunderts. Im Frontispiz der theologischen Schriften prangten schwulstige, umständliche, nach hochtrabender Gelehrsamkeit klingende Titel wie die „Theresianische Triumph-Pforte“ oder „Marianisches Herzens-Sigill“. Unter den theologischen Texten nahm das voluminöse Werk des Kanzelredners und Bußpredigers Ignatius Ertl breiten Raum ein. Simon schlug eines der Konvolute auf, schlängelte sich durch den Bandwurmtitel:
                „Amara Dulcis, das ist bittersüsses Buß-Kraut, durch sechs und dreyssig, theils bittere, theils süsse Fasten-Exempel mit schönen Moralien und sittlichen Lehr-Puncten in sechsfacher Materi vorgestellt und ausgelegt. Folgen auch noch absonderlich vierzehn traurige Passions-Predigen.“
                Er wuchtete den 1712 zu Nürnberg gedruckten Schinken zurück ins Regal. Eine Reihe darüber stand einer seiner „Favoriten“: das umfassende Weisheitsbuch „Ars magna lucis et umbrae“ des schreibwütigen Jesuitenpaters Athanasius Kircher: Der gelehrte Jesuitenpater war Mitte des 17. Jahrhunderts Professor für Mathematik, Physik und orientalische Sprachen an der Gregoriana in Rom gewesen und hatte versucht physikalische Phänomene wie den Erdmagnetismus oder das Licht mit Hilfe okkultistisch, alchemistischer Methoden zu erklären. Solch gefährliche, im Ruch der Ketzerei stehende Schriften waren indes selten. Die frommen Fratres hatten Werken den Vorzug gegeben, die sich unverfänglicheren Themen widmeten. Simon fiel der in Rot, Gold und Silber schwelgende Prunkband der „Vita Virgilius“ ins Auge. Der „heilige Bischof“ war eine legendäre Gestalt. Die Chronisten malten seine Lebensgeschichte in leuchtenden Farben, priesen ihn als „Illuminati“, als Erleuchteten. Zeit seines Lebens beschäftige sich der aus Irland stammende Virgil intensiv mit Geographie, Astronomie und Mathematik. – und vertrat im Gegensatz zur gängigen Lehrmeinung der Kirche die Ansicht, dass die Erde rund sei. Trotzdem war er 1223 von Papst Honorius den Dritten heilig gesprochen worden. Daneben versteckte sich ein schmalbrüstiges Buch, das sich ob seines unscheinbaren Äußerem zu schämen schien. Der Einband bestand aus schmutzigem, rötlich verfärbtem Leder. Die an den Rändern stark verfärbten, lilafarbene Schimmelflecken aufweisenden Seiten verstärkten den Eindruck Jahrhunderte langer Verwahrlosung: mit den „Annalen des Klosters Hochharting“ ließ sich wahrlich kein Schönheitspreis gewinnen. In knochentrockenen Latein listete der Schreiber des Almanachs, die „Highlights“ der Klostergeschichte auf: die Errichtung einer hölzernen Mönchszelle durch den heiligen Arn, die den Äbten verliehenen Privilegien und Pontifikalien wie das Recht ein Birett und den Krummstab zu tragen. Auf manche Seiten fielen jedoch schwarzen Schatten: im 16. Jahrhundert wurde der gesamte Konvent dreimal hintereinander wegen häretischer Umtriebe exkommuniziert, bis 1573 nur noch der Abt zusammen mit zwei Brüdern in dem abbruchreifen Gebäuden hauste. Welche Begebenheiten hatte der Chronist verschwiegen, was hatte er glatt gebürstet und nachträglich geschönt? Welche Intrigen, Kabalen und Affären waren unter den Tisch gekehrt worden? Was ließ sich zwischen den Zeilen der vom Zahn der Zeit zernagten, altersfleckigen Seiten lesen? Nicht das Geschehene oder das Erinnerte, das Geschriebene machte Geschichte. Wer in diesem Kontext von historischen Wahrheiten sprach, der log. Simon sah

Weitere Kostenlose Bücher