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Cruzifixus

Cruzifixus

Titel: Cruzifixus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans-Peter Dinesh Bauer
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verhören, ihn weich wie ein Ei zu kochen und notfalls die Informationen aus ihm „herauszukitzeln“. Doch nun war er tot – und konnte nicht mehr reden. Pio musste also andere Mittel und Wege finden, um an den harten Kern der Verschwörer heranzukommen: Vielleicht fand sich ja unter den Mönchen ein schwarzes Schaf? Birnbacher wäre kein Benediktiner gewesen, wenn er mit dem umtriebigen Unternehmer keine Geschäfte gemacht und kein Kapital aus den Investitionen im „Private Equity“-Bereich geschlagen hätte. Er würde den Spieß umdrehen und dem Abt auf den eitrigen Zahn fühlen.
     
    Pio pochte zweimal kurz an die schwere Holztür und betrat festen Schritts das Audienzzimmer des Abts. Birnbacher blickte verwirrt von einem Bündel Akten auf und hieß ihn mit tremolierender, etwas larmoyant klingender Stimme willkommen:
                „Ach Sie sind es Professore! Bitte, setzen Sie sich doch! Ich hoffe Sie genießen den Aufenthalt in unserer Abtei. Kommen Sie mit ihren Studien oder sollte ich sagen Recherchen voran?“
                Zwischen seinem zerstreut wirkenden Gelehrtenblick und seinen geziert und einstudiert wirkenden Gebärden bestand eine merkwürdige Diskrepanz:
                „Danke Monsignore, an diesem Ort der Ruhe und des Friedens fühle ich mich wie in Abrahams Schoß. Die Türen des Archivs stehen mir offen wie die Herzen ihrer Brüder!“
                Die doppelsinnige Antwort schien den Abt zu amüsieren. Er tadelte ihn mit einem schelmischen Lächeln:
                „Sie scherzen, Padre! Das ist ein Zeugma, nicht? Aber Spaß beiseite: die Gastfreundschaft ist unserem Orden seit jeher heilig. Im 53. Kapitel seiner Regel verfügt der heilige Benedikt: alle Fremden die kommen, sollen aufgenommen werden wie Jesus Christus! Porta patet - cor magis wie die Zisterzienser zu sagen pflegen.“
                Mit einem leichten Kopfnicken deutete Pio an, dass er die Einschätzung seines Gastgebers teilte. Er nutzte die rhetorische Kunstpause, um sich im Zimmer umzusehen. Der Job des Agenten brachte es mit sich, seine Umgebung auf mögliche Gefahrenpunkte hin zu scannen und sich ein möglichst umfassendes Bild von den Eigenheiten, Manien und Marotten des jeweiligen Gesprächspartners zu machen. Das Interieur eines Raums ließ nicht nur Rückschlüsse auf den Kunstverstand, sondern auch auf Charakter, Disposition und Gemütszustand der betreffenden Person zu. Der Abt legte Wert auf ein gediegenes, repräsentatives Ambiente: Biedermeiermobiliar in rotbraunen Farbtönen, blitzblank poliertes Parkett, mit edlen Hölzern vertäfelte Wände. Als Farbtupfer fungierten zwei Gemälde im dekorativen Goldrahmen mit religiösem Sujets: das Martyrium eines Ordensheiligen und das Pfingstwunder. Mit Bedacht kultivierte Birnbacher eine Atmosphäre soignierter, erlesener Eleganz, die den übersteigerten, zur Theatralik neigenden Geist barocker Frömmigkeit ohne jede falsche Scheu zur Schau trug. Der Abt schien jedenfalls kein Mann des Ausgleichs und Dialogs, kein Freund von Kompromissen und Konzessionen zu sein. Hinterm Schreibtisch wachte ein sich mit Schmerz verzerrter Miene ums Kreuz windender Christus über seinen Diener. Im Herrgottswinkel sperrte sich ein breit ausladender Altartisch mit gold glänzendem Hostienschrein und silbern scheinenden Kerzenleuchter gegen den nüchternen Pragmatismus moderner, laizistischer Zeiten. Der Ehrenplatz zur Rechten des Schreins war für die Madonna auf der Mondsichel reserviert: die holdselige Jungfrau hüllte sich in ein mit Sternstaub besätes, königsblaues Krönungskleid. Ein warmes, gütiges Lächeln zauberte reizende Grübchen auf ihre rosigen Wangen. Die Mimik, die grazile Körperhaltung, der formvollendete Faltenwurf des Gewands wies die Madonna als das Werk eines Meisters gotischer Schnitzkunst aus, das auf einer Auktion von Sotheby’s wohl gut und gerne 250000 Pfund erzielen würde. Die Längsseite des Raums sprengte ein monströser, auf Löwenpranken lauernder Aktenschrank ein. Das sperrige Ding war der Holz gewordene Alptraum jedes Möbelpackers. Birnbacher schien indes Gefallen an dem Ungetüm zu finden. In seiner Stimme schwang die Begeisterung des Kunstjüngers, der für das Schmuckstück seiner Sammlung lobende Worte von sybaritischer Opulenz fand:
                „Empirestil - um 1810 von einem kaiserlichen Hofkistler in Paris geschreinert! Mahagoni mit Intarsien und Bronzen. Die

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