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Cruzifixus

Cruzifixus

Titel: Cruzifixus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans-Peter Dinesh Bauer
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dass er mir…!“
                Er räusperte sich:
                „…dass er mit mir rechnen kann!“
                „In 15 Minuten! Seid bitte pünktlich.“
                Erleichtert registrierte er, dass der Bruder seine Mission als erledigt ansah und sich schlurfenden Schritts entfernte. Pio fühlte sich beschissen: er hatte einen Brummschädel, seine Knochen taten ihm weh und ein widerwärtig, penetrant süßlicher Geschmack klebte an seinem Gaumen. Wie eine arthritische Ente watschelte er zum Waschbecken, klatschte sich eine Handvoll kaltes Wasser ins Gesicht und versuchte mit ein paar Kniebeugen den Kreislauf auf Trab zu bringen. Er schob den Vorhang zurück und spähte in den still und verlassen daliegenden Klosterhof hinunter. Kein Mönch, geschweige denn ein normaler Mensch war um diese Uhrzeit unterwegs. Er war ein Soldat Jesu, er hatte gelernt Befehle auszuführen und keine Ansprüche zu stellen. An eines hatte er sich in all den Jahren als Milizionär des Messias nie gewöhnen können: an das Wecken in aller Herrgottsfrühe! Es war ein Gerücht, dass man im Alter weniger Schlaf benötigte. Er war alt genug und dennoch nicht zum Frühaufsteher konvertiert. Er kratzte sich das Stoppelkinn: Was wollte diese heuchlerische Brillenschlange mit seinem heimtückischen Intrigantenblick von ihm? Bei seiner Ankunft in der Abtei Hohenhaslach hatte ihn Abt Placidus Birnbacher mit überschwänglicher, aufgesetzt wirkender Geste umarmt und dem „Bruder aus Rom“ einen Judaskuss auf die Wange gehaucht. Birnbacher war ein typischer Vertreter des Benediktinerordens: nach außen hin bieder, tugendhaft und bescheiden, in Wahrheit aber selbstgerecht, aufbrausend und von sich eingenommen. Obwohl seit Jahrhunderten enge Beziehungen zwischen dem bewaffneten Arm des Vatikans und dem Ordo Sancti Benedicti bestanden und beide auf ihre Weise den alten, bösen Feind bekämpften, war Padre Pio kein Freund der patriarchenbärtigen Schwarzkittel. Pio legte keinerlei Wert auf die erlauchte Gesellschaft des Herrn Abts, seines Priors oder Präfekten. So oft es ging war er deshalb in seinem spartanischen Quartier geblieben und war auf Abstand zu seinen „Brüdern in Christo“ Bedacht gewesen. Er war schließlich nicht gekommen, um Süßholz zu raspeln, an irgendwelchen theologischen Disputen teilzunehmen oder bei Kerzenschimmer über Form und Gestalt des heiligen Geists zu meditieren. Nein, er hatte einen Auftrag von höchster Brisanz zu erfüllen. Diese Mission erforderte sowohl diplomatisches Fingerspitzengefühl als auch eine kompromisslose Vorgehensweise und ein hartes Durchgreifen. Wenn ihn etwas mit der Benediktinerbande verband, dann die oppositionelle Haltung gegenüber den liberalen Zeitgeist. Dem Kardinalskollegium fehlte es an Durchsetzungsvermögen, Standhaftigkeit und Entschlusskraft und der Papst war ein alter Mann, der nicht mehr genug Mumm in den mürben Knochen hatte, um die Achse des Bösen mit eiserner Faust zu zerschlagen.
     
    Pio ließ sich mit der Morgentoilette Zeit. Er duschte, rasierte sich und durchkämmte den Kleiderschrank. Janker und Joppen, Sakkos und Westen hingen wie ein Schwarm schläfriger Fledermäuse von den Rollbügeln herab. Dem morschen Holzkasten entströmte der Muff von tausend Jahren. Angeekelt verzog er das Gesicht, legte sich einen taubengrauen Blazer und einen weiten, schwarzen Ordensmantel zurecht. Er kleidete sich rasch an und betrachtete sein Eidolon, sein Ebenbild im Spiegel aus der kritischen Distanz des bekehrten Narziss. Die Zeit war nicht spurlos an ihm vorbeigegangen: die schwarz umrandeten Augen lagen tief in ihren Höhlen, die Haut hatte an Spannkraft und Elastizität verloren und die braunen Flecken und weißen Stellen auf seiner Hand verrieten, dass er weit über Siebzig war. Dennoch hatte er sich für sein Alter gut gehalten. Er wirkte weder hinfällig, noch gebrechlich oder grämlich. Im Gegenteil: sein von der Sonne des Orients gebräunter Teint, seine geschmeidigen Bewegungen und sein wacher, forschender Blick ließen ihn jugendlicher aussehen als die meisten der blutleeren, blässlichen Klosterbrüder, die weit jünger waren als er. Was den Eindruck der Jugendlichkeit und Agilität schmälerte war die altmodische Klerikerkluft, die unzeitgemäße Mönchsmontur. Persönlich pflegte er ein saloppes, sportliches Äußeres: Holzfällerhemden, Outdoor-Couture aus reißfesten, regenresistenten Synthetikfasern. Doch hier im Kloster

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