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Cruzifixus

Cruzifixus

Titel: Cruzifixus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans-Peter Dinesh Bauer
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Rückwände mit Kirschfurnier. Wahre Ästhetik kennt kein Dilemma zwischen Form und Funktion, zwischen praktischem Sinn und edler Gestalt, zwischen äußerem Schein und innerem Sein. Über Geschmack lässt sich zwar streiten über das klassische Ideal vollendeter Proportionen nicht.“
                Im Stil des blasierten römischen Aristokraten warf Pio ein:
                „Am Begriff der Schönheit scheiden sich die Geister! Schön ist, was gefällt. Oder, um an Burkes Ideen vom Erhabenen und Schönen anzuknüpfen: die Vollkommenheit ist weder die Ursache der Schönheit, noch das Kriterium ihrer Qualität.“
                Abt Placidus rutschte unruhig in seinem Lederfauteuil hin und her. Er schien mit ihm nicht die Aspekte der Schönheit diskutieren zu wollen, schien aber auch unschlüssig ob er ohne Umschweife zum Thema kommen sollte. Pio nahm sein Gegenüber in Augenschein: Birnbacher war eine durchaus imposante Erscheinung: breitschultrig, stämmig, kräftig gebaut - ein gestandenes Mannsbild wie man in Bayern sagte. Trotz seiner beträchtlichen Leibesfülle wirkte er nicht wie ein Fettwanst, sondern wie ein Kraftprotz von etwas untersetzter Statur. Endlich legte er seine rechte Pranke demonstrativ, so als ob er einen Eid darauf ableisten wolle, auf ein in gepunztes Leder gebundenes Büchlein. Den Einband zierte ein Chi Rho in Goldschnitt. Das Monogramm Christi auf dem Cover ließ jedoch noch keinen Rückschluss auf den Inhalt des Buchs zu. Pio hatte nicht umsonst über 50 Jahre im Messias-Metier zugebracht. Wenn es um Gott ging, ging es „a rebours“ um ein Buch. Die Auguren Roms lasen den Willen der Götter aus dem Flug der Vögel, rabbinische, christliche und islamische Schriftgelehrte zwischen den Zeilen.
     
    Birnbacher strich sein Haar an den Schläfen glatt und fuhr sich mit einer Hand über den Scheitel, so als ob er sich des ordnungsgemäßen Zustandes seiner Frisur versichern wollte:
                „Bücher haben etwas Magisches, Wundersames an sich. Und doch können Sie überaus gefährlich sein!“
                Pio versicherte eilfertig:
                „Ha certo! Es gibt schwarze wie weiße Magie!“
                Es würde nicht mehr lange dauern und die Katze war aus dem Sack. Pio hatte alle Mühe ein überhebliches Lächeln hinter der Maske des neunmalklugen Gelehrten zu verbergen. Birnbachers Finger strichen nervös über die Fileten und Goldverzierungen des Ledereinbands. Die Sorge des Hirten war ihm ins Gesicht tätowiert, die Bürde seines Amts hing ihm wie ein Mühlstein um den Hals. Mit seltsam erregter Stimme hub er zu lamentieren an:
                „Padre! Ich behellige meine Gäste höchst ungern, aber ich sehe mich gezwungen ihren Rat in einer misslichen, ja höchst unerfreulichen Angelegenheit einzuholen. Es geht um bestimmte Vorkommnisse, die Zwist und Unfrieden in unsere Gemeinschaft gesät haben. Verstehen Sie es also bitte nicht als Zeichen des Misstrauens, dass ich mich zunächst ihrer Diskretion und Verschwiegenheit versichern möchte“
                Pio hob den Kopf, wölbte verwundert seine buschigen Brauen:
                „Ich wüsste nicht, auf welche Weise ein bescheidener Arbeiter im Weinberg des Herrn für Sie von Nutzen sein könnte. Wie Ihnen bekannt sein dürfte, bin ich auf der Suche nach historischen Materialien für eine Studienausgabe am Collegio Romano. Ich habe mich hierher begeben um, um ein zugegebenermaßen etwas klischeehafte Bild zu verwenden, den Brandgeruch des Bösen an Ort und Stelle zu schnuppern. Der Virgilswinkel war in der Vergangenheit leider ein Hort der nazistischen Häresie und ich sehe meine vordringliche Aufgabe darin, die diesbezüglichen Archivbestände zu sichten und auszuwerten. Ziel der Studie soll es sein, ein möglichst umfassendes Bild von den Drangsalen und Verfolgungen zu zeichnen, die unsere heilige Mutter Kirche im Dunstkreis des Führers ausgesetzt war! Der Heilige Vater höchst selbst hat mir seinen Segen für diese verdienstvolle Aufgabe erteilt! Darf ich also fragen, um welche Angelegenheit es sich handelt?“
                Seine „Vita“, sein minutiös retuschierter Lebenslauf wies ihn als Koryphäe auf dem Gebiet der Patrologie, der mittleren und neueren Kirchengeschichte aus. Es erschien paradox, aber mit dem akademischen Renommee wuchs das Vertrauen, dass man ihm als allgemein anerkannten Wissenschaftler

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