Cruzifixus
streicheln, die struppigen Mähnen zu kraulen und ihnen zuzuraunen:
„Na Winston hast du auch genug Futter abbekommen?“
Der Mulitreiber beeilte sich schleunigst Meldung zu machen:
„Melde gehorsamst Herr Standartenführer, Gefreiter Hallhofer! Die Mulis wurden wie befohlen gestriegelt und gebügelt! Gestatten, wenn ich anmerke: Den Viechern geht es besser als uns!“
Altenbrunner bemerkte jovial:
„Wenn Sie das sagen Herr Gefreiter muss es ja wohl stimmen!“
Dann fügte er militärisch knapp hinzu:
„Schnappen Sie sich ein paar Männer und kontrollieren Sie noch mal ob die Ladung richtig vertäut ist! Abmarsch, in fünf Minuten!“
In dem unwegsamen Terrain kam die Karawane nur im Schneckentempo voran. Immer neue Hindernisse hinderten ihren Vormarsch. Der Saumweg hinauf zum Niederjoch glich einer „Via Dolorosa“. Schuttreißen und Kieskegel mussten überquert, tief eingeschnittene Felsspalten umgangen, mit Latschen- und Krüppelkiefern überwucherte Geröllfelder durchmessen, reißende, eisig kalte Gebirgsbäche durchwatet werden. Jetzt am Nachmittag brannte der kupferne Schuft unbarmherzig vom Himmel. Die Mulis begannen zu lahmen, die Männer zu murren. Schweißtröpfchen perlten auf ihrer Stirn. Altenbrunner versuchte sich seine Nervosität, seine innere Unruhe nicht anmerken zu lassen, Zuversicht und Gelassenheit auszustrahlen. Er fühlte sich wie ein Kameltreiber, der vergeblich versuchte seine Karawane anzutreiben. Wie um ihn vor einem drohenden Unheil zu warnen, drang ein munteres „Zizibe! Zizibe!“ an sein Ohr. In dieser gebirgigen Einöde klang das freudige Gezwitscher des gefiederten Sängers wie der Ruf des Predigers in der Wüste. Sehnsucht war ein scharfes Schwert, das sich tief ins kummervolle, ahnungsschwere Herz grub. Altenbrunner verspürte einen Stich in der Brust: Er durfte sich jetzt nicht in rührseligen, sentimentalen Gedanken ergehen. Mit martialisch, markigen Tönen spornte er die Truppe an:
„Was ist das hier? Ein Haufen Betbrüder bei der eigenen Beerdigung? Ich will ein fetziges Marschlied hören und zwar so, dass die Mulis mit den Ohren schlackern, verstanden!“
Er selbst war zwar alles andere als ein Tannhäuser, Siegfried oder ein anderer wagnerianischer Meistersänger wusste aber wohl um die apotropäische Wirkung des „orphischen“ Gesangs: er vertrieb die Schatten der Unterwelt, verjagte die Gespenster des Grauens, die Schemen des Todes! Erst zögerlich, dann immer lauter erhoben sich die Stimmen, um ihn einem kraftvoll, fulminanten Männerchor zu verschmelzen:
„Wenn wir marschieren, ziehen wir zum deutschen Tor hinaus, schwarzbraunes Mädel, du bleibst zu Haus.“ Die forsch, fidele Marschmelodie dröhnte aus zornigen, dornigen Kehlen:
„Ei darum wink, mein Mädel, Wink, wink, wink! Unter einer Lialind sitzt ein kleiner Fink, Fink, Fink, ruft nur immer: Mädel wink!“
Die sehnsüchtigen Gedanken an eine ferne Geliebte würden zumindest für den Moment die Mattigkeit und Mutlosigkeit vergessen machen:
„Der Wirtin Tochter, die trägt ein geblümtes Kleid, die trägt das Blaue zum Zeitvertreib! Weg mit den Grillen, weg mit der Widerwärtigkeit! Ich schwöre es im Stillen: Du wirst mein Weib!“ Der Funke sprang über, die Männer grölten wie bei einer Nackttanzaufführung im Negerpuff:
„Ei darum wink, mein Mädel, Wink, wink, wink!“
Blinkte da nicht etwas Metallisches zwischen den Felsen? Bewegte sich da nicht etwas in dem Latschenkieferfeld links von ihnen? Ein Hinterhalt? Die behandschuhte Rechte hebend, schrie er:
„Ruhe im Glied! Kompanie Halt!“
Männer und Maultiere kamen mit einem Ruck zum Stehen. Er schob die Schirmmütze aus der Stirn, spähte durchs Okular des Fernglases. Nein, er hatte sich getäuscht. Dort oben war niemand! Sah er jetzt schon Gespenster? In einer Geste der Ratlosigkeit strich er seine Bartstoppeln glatt. Im Geiste überschlug er die zurückgelegte Wegstrecke, blinzelte aufs Ziffernblatt seiner Uhr. Wie er es auch drehte und wendete, er steckte in einem Dilemma. Sie würden es heute nie und nimmer bis zum vereinbarten Treffpunkt unterhalb des
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