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Cry Baby - Scharfe Schnitte: Thriller (German Edition)

Cry Baby - Scharfe Schnitte: Thriller (German Edition)

Titel: Cry Baby - Scharfe Schnitte: Thriller (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gillian Flynn
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die Polizei gerufen. Oder Sie erschossen.«
    »Wie sah sie denn aus?«
    Er zuckte die Achseln. »Hab ich schon gesagt. Hundert Mal.«
    »Noch einmal, bitte.«
    »Sie war alt.«
    »So alt wie ich?«
    »Wie eine Mutter.«
    »Und sonst?«
    »Sie trug ein weißes Nachthemd und hatte weiße Haare. Sie war ganz weiß, aber nicht so wie ein Geist. Das sage ich doch dauernd.«
    »Wie weiß denn?«
    »Als wäre sie noch nie draußen gewesen.«
    »Und die Frau hat Natalie geholt, als sie zum Wald gelaufen ist?« Mein schmeichelnder Ton erinnerte mich an meine Mutter, wenn sie mit bevorzugten Kellnern sprach.
    »Ich lüge nicht.«
    »Natürlich nicht. Die Frau hat Natalie geholt, während ihr alle gespielt habt?«
    »Ganz schnell«, meinte er nickend. »Natalie ist durchs Gras gelaufen, um das Frisbee zu holen. Und ich hab die Frau gesehen, wie sie sie aus dem Wald beobachtet hat. Ich hab sie früher als Natalie gesehen. Aber ich hatte keine Angst.«
    »Kann ich mir vorstellen.«
    »Selbst als sie Natalie gepackt hat, hatte ich zuerst keine Angst.«
    »Später schon?«
    »Nein.« Seine Stimme erstarb. »Hatte ich nicht.«
    »James, könntest du mir sagen, was genau passiert ist, als sie Natalie schnappte?«
    »Sie hat Natalie an sich gezogen, als wollte sie sie umarmen. Und dann hat sie mich angesehen. Richtig angestarrt.«
    »Die Frau?«
    »Ja. Sie hat mich angelächelt. Einen Moment hab ich gedacht, alles ist gut. Aber sie hat nichts gesagt. Und dann hat sie aufgehört zu lächeln. Sie hat den Finger an die Lippen gelegt. Und ist im Wald verschwunden. Mit Natalie.« Er zuckte erneut die Achseln. »Ich hab das alles schon erzählt.«
    »Der Polizei?«
    »Erst meiner Mom, dann der Polizei. Mom wollte das. Aber der Polizei war es egal.«
    »Warum?«
    »Die dachten, ich lüge. Aber so was denke ich mir nicht aus. Wär doch blöd.«
    »Hat Natalie irgendwas gemacht, während das passierte?«
    »Nein. Sie stand einfach nur da. Ich glaube, sie wusste nicht, was sie machen sollte.«
    »Sah die Frau jemandem ähnlich, den du kennst?«
    »Nein, hab ich doch gesagt.« Er trat weg vom Fenster und schaute über die Schulter ins Wohnzimmer.
    »Tut mir leid, dass ich dich gestört habe. Vielleicht solltest du einen Freund einladen. Dann bist du nicht so allein.« Er zuckte wieder die Achseln und kaute auf einem Fingernagel. »Vielleicht geht’s dir draußen besser.«
    »Will ich aber nicht. Außerdem haben wir eine Waffe.« Er deutete auf eine Pistole, die auf der Armlehne des Sofas lag, gleich neben einem halbgegessenen Schinkenbrot. Mein Gott.
    »Findest du das in Ordnung, James? Die willst du doch nicht im Ernst benutzen? Waffen sind sehr gefährlich.«
    »Gar nicht wahr. Und meiner Mom ist es egal.« Zum ersten Mal sah er mir in die Augen. »Sie sind hübsch. Schöne Haare.«
    »Danke.«
    »Ich muss los.«
    »Gut, pass auf dich auf, James.«
    »Mach ich doch.« Er seufzte nachdrücklich und entfernte sich vom Fenster. Eine Sekunde später brabbelte der Fernseher wieder los.
     
    In Wind Gap gibt es fünf Kneipen. Ich ging ins Sensors, das ich noch nicht kannte. Vermutlich war es während einer idiotischen Mode der Achtziger eröffnet worden, mit zickzackförmigen Neonleuchten und einer winzigen Tanzfläche in der Mitte. Ich trank einen Bourbon und kritzelte gerade nieder, was ich an diesem Tag herausgefunden hatte, als Kansas City sich unvermittelt auf den gepolsterten Sitz mir gegenüber fallen ließ. Er stellte sein Bier klirrend zwischen uns auf den Tisch.
    »Ich dachte immer, Reporter dürfen nicht ohne Erlaubnis mit Minderjährigen sprechen.« Er lächelte, trank einen Schluck. James’ Mutter musste herumtelefoniert haben.
    »Reporter müssen eben aggressiver sein, wenn die Polizei sie von einer Ermittlung ausschließt«, sagte ich ohne aufzublicken.
    »Wie soll die Polizei denn ihre Arbeit tun, wenn Reporter in Chicagoer Zeitungen detailliert über ihre Ermittlungen berichten?«
    Das Spielchen war nicht neu. Ich wandte mich wieder meinen Notizen zu, die vom nassen Glas durchweicht waren.
    »Versuchen wir es mal anders. Ich heiße Richard Willis.« Er trank noch einen Schluck und schnalzte mit den Lippen. »Und Sie sind Camille Preaker, ein Mädchen aus Wind Gap, das es in der großen Stadt zu etwas gebracht hat.«
    »Sie sagen es.«
    Er zeigte wieder sein beunruhigendes Kaugummigrinsen und fuhr sich mit der Hand durchs Haar. Kein Ehering. Seit wann achtete ich auf solche Dinge?
    »Okay, Camille, wie wär’s mit einem

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