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Cry Baby - Scharfe Schnitte: Thriller (German Edition)

Cry Baby - Scharfe Schnitte: Thriller (German Edition)

Titel: Cry Baby - Scharfe Schnitte: Thriller (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gillian Flynn
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angetan habe und heute nicht mehr antue. Wenn ich wach bin, will ich schneiden. Richtig lange Wörter.
Zweideutig. Unartikuliert. Doppelzüngig.
Wenn die Leute aus der Klinik das wüssten, wären sie nicht sonderlich begeistert.
    Wer es wissenschaftlich mag, kann sich an zahlreichen Fachausdrücken erfreuen. Ich selbst weiß nur, dass mir das Schneiden Sicherheit verlieh. Es war ein Beweis. Gedanken und Wörter, die ich einfing, damit ich sie sehen und nachverfolgen konnte. Die Wahrheit, die in verrückter Kurzschrift auf meiner Haut prickelte. Wenn jemand sagt, er muss zum Arzt, würde ich mir am liebsten das Wort
nervig
in den Arm schneiden. Hat sich jemand verliebt, summt das Wort
tragisch
über meiner Brust. Ich wollte nicht unbedingt geheilt werden, fand aber keine Stellen mehr, an denen ich noch schreiben konnte. Ich hatte mich zwischen den Zehen geritzt –
schlimm, weinen
 – wie ein Junkie, der nach der letzten Vene sucht.
Verschwinden
gab den Ausschlag. Den Nacken, eine ganz besondere Stelle, hatte ich mir für einen letzten schönen Schnitt aufgespart. Danach stellte ich mich. Blieb zwölf Wochen in der Klinik. Einer Spezialklinik für Leute, die sich schneiden, fast alles Frauen, die meisten unter fünfundzwanzig. Ich war dreißig, als ich hinging. Bin erst sechs Monate wieder draußen. Eine schwierige Zeit.
    Einmal besuchte mich Curry und brachte gelbe Rosen mit. Sie schnitten alle Dornen ab, bevor sie ihn ins Besucherzimmer ließen, und packten sie in einen Plastikbehälter, der weggeschlossen wurde, bis die Müllabfuhr kam. Wir saßen im Aufenthaltsraum, in dem alles weich und gerundet war. Während wir uns über die Zeitung, seine Frau und Neuigkeiten aus Chicago unterhielten, musterte ich ihn prüfend. Suchte nach etwas Scharfem: Gürtelschnalle, Sicherheitsnadel, Uhrkette.
    »Tut mir leid, Mädchen«, sagte er, als wir uns verabschiedeten, und ich spürte, dass er es ehrlich meinte. Seine Stimme klang nämlich ganz belegt.
    Danach war ich von einem derartigen Selbstekel erfüllt, dass ich kotzen ging, und während ich kotzte, fielen mir die gummiüberzogenen Schrauben hinten an der Klobrille auf. Ich pulte von einer das Gummi ab und schmirgelte meine Handfläche –
ich 
–, bis mich die Pfleger rausholten. Das Blut sprudelte hervor wie bei einem Stigma.
    In jener Woche brachte sich meine Zimmergenossin um. Nicht mit Schneiden, das war ja der Witz. Sie trank eine Flasche Domestos, die der Hausmeister vergessen hatte. Sie war sechzehn, ein ehemaliger Cheerleader, und hatte sich über dem Oberschenkel geschnitten, damit es keiner merkte. Ihre Eltern sahen mich vorwurfsvoll an, als sie ihre Sachen abholten.
    Es heißt, Blau sei die Farbe der Traurigkeit, daher auch Blues, doch für mich sind Depressionen uringelb. Ein müdes, verwaschenes Meer aus Pisse.
    Die Schwestern gaben uns Medikamente, damit unsere Haut nicht mehr so kribbelte. Und noch mehr Medikamente, um unseren brennenden Verstand zu beruhigen. Wir wurden zweimal wöchentlich gefilzt und mussten uns gruppenweise emotional auskotzen, um uns, zumindest theoretisch, von Zorn und Selbsthass zu befreien. Wir lernten, uns nicht mehr gegen uns selbst zu wenden. Wir lernten, anderen die Schuld zu geben. Nachdem wir uns einen Monat gut benommen hatten, bekamen wir pflegende Bäder und Massagen verordnet. Wir lernten, dass Berührung guttun konnte.
    Ansonsten besuchte mich nur meine Mutter, die ich seit fünf Jahren nicht mehr gesehen hatte. Sie roch nach lila Blumen und trug ein klirrendes Armband, das ich als Kind furchtbar gern haben wollte. Als wir allein waren, sprach sie von der Laubfärbung und einer neuen städtischen Vorschrift, nach der die Weihnachtsbeleuchtung bis zum 15 . Januar entfernt werden musste. Als meine Ärzte dazukamen, begann sie zu weinen und hätschelte und tätschelte mich. Sie strich mir übers Haar und wollte wissen, warum ich mir das angetan hatte.
    Dann folgten die unvermeidlichen Geschichten über Marian. Sie habe nämlich bereits ein Kind verloren. Wie es nur sein könne, dass sich die ältere (wenn auch weniger geliebte) Tochter selbst verletze? Ich sei so ganz anders als ihr verstorbenes Mädchen, das –
man höre und staune
 – schon bald dreißig geworden wäre. Marian hatte das Leben geliebt, obwohl es nicht gut zu ihr gewesen war. Sie hatte es förmlich in sich aufgesaugt –
erinnerst du dich, Camille, wie sie sogar im Krankenhaus noch gelacht hat?
    Natürlich hätte ich meiner Mutter erklären

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