Cry Baby - Scharfe Schnitte: Thriller (German Edition)
Bierflasche. Es klang wie ein Balzruf für den vorbeiziehenden Schlepper.
Der Mond stand am Himmel, die Grillen zirpten pulsierend wie im Dschungel, als Richard mich zu Hause absetzte. Das Lied der Grillen spiegelte sich im rhythmischen Pochen zwischen meinen Beinen, wo er mich hatte berühren dürfen. Reißverschluss runter, dann führte ich seine Hand zu meiner Klitoris und hielt sie dort fest, damit er nicht die wulstigen Umrisse meiner Narben ertastete. Wir holten uns wie Teenies gegenseitig einen runter. Als ich kam, pulsierte
Klößchen
hart und rosig an meinem linken Fuß. Ich öffnete klebrig und nach Sex riechend die Haustür. Drinnen entdeckte ich meine Mutter auf der untersten Treppenstufe, neben sich einen Krug Amaretto sour.
Sie trug ein rosa Nachthemd mit albernen Puffärmeln und satingefasstem Halsausschnitt. Ihre Hände waren unnötigerweise in schneeweiße Verbände gehüllt, jungfräulich sauber, obwohl sie so betrunken war. Als ich hereinkam, wankte sie wie ein Gespenst, das überlegt, ob es verschwinden soll. Doch sie blieb da.
»Setz dich, Camille.« Sie winkte mich mit ihrer wolkigen Hand heran. »Nein! Hol dir erst ein Glas aus der Küche. Trink einen mit Mutter. Mit deiner Mutter.«
Wie erbärmlich, dachte ich, als ich mir ein Glas schnappte. Denn tief drinnen keimte der Gedanke: endlich
allein
mit ihr! Ein letzter Rest von Kindheit. Den musste ich noch loswerden.
Meine Mutter goss schwungvoll ein, ohne etwas zu verschütten, genau bis zum Rand. Schwierig, das Glas ohne zu kleckern an den Mund zu führen. Sie grinste, als sie mir dabei zusah. Lehnte sich gegen den Geländerpfosten, nippte.
»Ich glaube, ich weiß jetzt, warum ich dich nicht liebe«, sagte sie.
Ich wusste, dass sie mich nicht liebte, hatte es aber noch nie aus ihrem Mund gehört. Ich wollte es nüchtern aufnehmen wie ein Wissenschaftler, der kurz vor dem großen Durchbruch steht, doch meine Kehle war wie zugeschnürt, und ich musste mich zum Atmen zwingen.
»Du erinnerst mich an meine Mutter, Joya. Kalt und distanziert und so … so selbstgefällig. Meine Mutter hat mich auch nicht geliebt. Und wenn ihr Mädchen mich nicht liebt, liebe ich euch auch nicht.«
Eine Welle des Zorns durchfuhr mich. »Verdammte Scheiße, ich habe nie gesagt, dass ich dich nicht liebe, das ist doch lächerlich. Du hast mich nie gemocht, nicht mal als Kind. Ich habe nur deine Kälte gespürt, also wirf mir das jetzt nicht vor.« Ich rieb meine Handfläche fest an der Kante der Treppenstufe. Meine Mutter lächelte schwach, als sie es bemerkte. Ich hörte auf.
»Du warst immer eigenwillig, nie richtig lieb. Ich weiß noch, als du sechs oder sieben warst, wollte ich dir die Haare auf Lockenwickler drehen, fürs Klassenfoto. Da hast du sie dir mit meiner Schneiderschere einfach abgeschnitten.« Daran konnte ich mich gar nicht erinnern. So etwas hatte man mir nur über Ann erzählt.
»Das glaube ich nicht, Momma.«
»Eigensinnig, wie diese Mädchen. Ich wollte ihnen nahe sein, den toten Mädchen.«
»Wie meinst du das?«
»Sie erinnerten mich an dich, sind wie wild durch die Stadt gerannt. Wie hübsche Tierchen. Ich dachte, wenn ich sie näher kennenlernen würde, könnte ich dich besser verstehen. Wenn ich sie mögen würde, könnte ich vielleicht auch dich mögen. Aber es ging nicht.«
»Kein Wunder.« Die Standuhr schlug elf. Wie oft mochte meine Mutter ihre Klänge schon gehört haben, sie war in diesem Haus aufgewachsen.
»Als ich dich in mir trug, war ich noch ein Mädchen – viel jünger als du jetzt. Und ich dachte, du würdest mich retten. Mich lieben. Und dann würde meine Mutter mich auch endlich lieben. Was für ein Witz.« Ihre Stimme klang schrill und wund, ein flatterndes rotes Tuch im Wind.
»Ich war noch ein Baby.«
»Du hast von Anfang an nicht gehorcht, wolltest nicht essen. Als wolltest du mich dafür, dass ich dich in die Welt gesetzt hatte, bestrafen. Ich stand dumm da. Wie ein Kind.«
»Du warst ein Kind.«
»Und jetzt kommst du her, und ich kann immer nur denken: ›Warum Marian und nicht sie?‹«
Meine Wut verwandelte sich sofort in tiefste Verzweiflung. Im Holz ertasteten meine Finger eine Metallklammer. Ich stieß sie mir unter den Fingernagel. Wegen dieser Frau würde ich nicht weinen.
»So gerne bin ich auch gar nicht hier, Momma, falls dich das irgendwie tröstet.«
»Wie hasserfüllt du dich anhörst.«
»Ich hatte eine gute Lehrerin.«
Meine Mutter holte aus, packte meine Arme. Dann langte
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