Cry Baby - Scharfe Schnitte: Thriller (German Edition)
Er reagierte nicht, war apathisch wie ein Kind nach sechs Stunden Glotze. Je lasziver Amma sich rieb, desto starrer wurde er. Ein Dreieck des Bikinis war verrutscht und enthüllte die gerundete Brust. Dreizehn Jahre, dachte ich bei mir und spürte dennoch einen Stich der Bewunderung. Wenn ich früher traurig gewesen war, hatte ich mich verletzt. Amma verletzte andere. Wenn ich Aufmerksamkeit wollte, hatte ich mich Jungen unterworfen:
Tu was du willst, aber hab mich gern.
Ammas sexuelle Angebote wirkten eher aggressiv. Lange dünne Beine, schlanke Handgelenke und hohe Babystimme, mit denen sie wie mit einer Waffe zielte.
Tu was ich will, vielleicht mag ich dich dann.
»He, John, an wen erinnere ich dich?«, rief Amma.
»An ein kleines Mädchen, das sich danebenbenimmt und für unwiderstehlicher hält, als es ist«, antwortete er. Er saß in Shorts und T-Shirt am Rand des Pools, ließ die Füße ins Wasser baumeln. Auf seinen Beinen wuchs ein zarter dunkler, fast weiblicher Flaum.
»Ehrlich? Warum hörst du dann nicht auf, mich aus deinem Versteck heraus zu beobachten?« Sie deutete mit einem Bein auf das Kutscherhaus, an dessen winzigem Dachbodenfenster blau karierte Vorhänge aufblitzten. »Meredith wird noch eifersüchtig werden.«
»Ich behalte dich lieber im Auge, Amma. Das solltest du nie vergessen.«
Ich vermutete mal, dass meine Halbschwester ohne Erlaubnis in sein Zimmer gegangen war und in seinen Sachen gestöbert hatte. Oder im Bett auf ihn gewartet hatte.
»Klar doch«, sagte sie lachend und spreizte die Beine. Sie sah in dem gedämpften Licht grausig aus, die schwachen Strahlen der Sonne zeichneten fleckige Schatten auf ihr Gesicht.
»Irgendwann bist du dran, Amma, und zwar bald.«
»Toller Typ. Kann’s kaum erwarten.« Kylie blickte hoch, sah ihre Freundin an, lächelte und legte sich wieder hin.
»Nur Geduld.«
»Geduld wirst du brauchen.« Sie warf ihm eine Kusshand zu.
Der Amaretto sour wirkte nach, und von diesem Geplänkel wurde mir zusätzlich übel. Es gefiel mir nicht, dass John Keene mit Amma flirtete, sosehr sie ihn auch provozieren mochte. Immerhin war sie erst dreizehn.
»Hallo?«, rief ich und schreckte Amma auf, die grüßend mit den Fingern wackelte. Zwei Blondinen blickten hoch und legten sich wieder hin. John schöpfte ein wenig Wasser aus dem Pool und tauchte sein Gesicht hinein, bevor er mich ansah und die Mundwinkel nach oben zog. Sicher ging er in Gedanken das Gespräch durch und fragte sich, wie viel ich gehört haben mochte. Ich war gleich weit von beiden Enden des Pools entfernt und ging zu John hinüber.
»Hast du den Artikel gelesen?« Er nickte.
»Ja, sicher, der war okay. Jedenfalls der Teil über Natalie.«
»Ich bin gekommen, weil ich mich mit Meredith über Wind Gap unterhalten möchte. Wäre es in Ordnung, wenn wir auch über Natalie sprechen?«
Er zuckte mit den Schultern.
»Klar doch. Sie ist noch nicht da. Hatte nicht genügend Zucker für den Eistee. Ist durchgedreht und ungeschminkt zum Supermarkt gefahren.«
»Eine Katastrophe.«
»Für Meredith schon.«
»Und wie kommst du hier zurecht?«
»Ach, geht so«, sagte er und begann, seine rechte Hand zu streicheln, als wollte er sich selber trösten. Wieder empfand ich Mitleid mit ihm. »Ich weiß nicht, ob es irgendwo besser sein könnte, also kann ich schlecht sagen, wie es hier ist. Verstehen Sie, was ich meine?«
»Etwa so: Hier ist es schrecklich, und ich möchte am liebsten sterben, aber mir fällt auch kein Ort ein, an dem ich lieber wäre«, schlug ich vor. Er drehte sich zu mir um.
»Genau das habe ich gemeint.«
Dann gewöhn dich dran
, dachte ich.
»Hast du schon mal daran gedacht, zu einem Therapeuten zu gehen?«, fragte ich. »Manchmal hilft das wirklich.«
»Klar, John, damit könntest du einige deiner
Triebe
unterdrücken. Die können nämlich
tödlich
sein. Wir wollen doch nicht, dass noch mehr kleine Mädchen ohne Zähne gefunden werden.« Amma war in den Pool geglitten und trieb nun ein Stück entfernt im Wasser.
John fuhr hoch, und ich glaubte schon, er werde hineinspringen und ihr an die Kehle gehen. Doch er zeigte nur auf sie, öffnete den Mund, schloss ihn wieder und verschwand in seinem Mansardenzimmer.
»Das war echt grausam«, sagte ich zu ihr.
»Aber lustig«, meinte Kylie, die auf einer knallrosa Luftmatratze vorbeischwamm.
»Was für ein Freak«, fügte Kelsey hinzu und paddelte an mir vorbei.
Jodes saß auf ihrer Decke, die Knie unterm Kinn, die Augen aufs
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