Cry Baby - Scharfe Schnitte: Thriller (German Edition)
sie über meine Schulter und umkreiste mit dem Fingernagel die unversehrte Stelle auf meinem Rücken.
»Die einzige Stelle, die noch übrig ist«, flüsterte sie. Ihr Atem roch widerlich nach Moschus, als käme er aus einem tiefen Brunnen.
»Ja.«
»Irgendwann ritze ich dort meinen Namen ein.« Sie schüttelte mich kurz, ließ los, und ich blieb allein mit dem warmen Amaretto auf der Treppe sitzen.
Ich trank ihn aus und bekam klebrige Träume. Meine Mutter hatte mich aufgeschnitten, mein Fleisch auseinander geklappt und packte meine Organe aus, stapelte sie in einer Reihe auf meinem Bett. Sie stickte ihre Initialen darauf und warf sie wieder in mich hinein, samt einem Haufen längst vergessener Gegenstände: einem Flummi in Neonorange, den ich mit zehn aus einem Kaugummiautomaten gezogen hatte; einem Paar violetter Stricksocken, die ich mit zwölf getragen hatte; einem billigen goldfarbenen Ring, den mir ein Junge in der neunten Klasse gekauft hatte. Und bei jedem Gegenstand war ich froh, ihn wiederzuhaben.
Als ich aufwachte, war es schon nach Mittag, und ich fühlte mich ängstlich und verwirrt. Ich trank einen Schluck Wodka aus der Flasche, um meine Panik in Schach zu halten, rannte danach ins Bad und erbrach ihn zusammen mit braunen Zuckerschlieren, den Resten des Amarettos.
Ich zog mich aus und stieg in die Wanne, das kühle Porzellan im Rücken. Legte mich flach hin, drehte das Wasser an, ließ es über mich kriechen und in meine Ohren dringen, bis sie mit dem zufriedenen Schmatzen eines sinkenden Schiffes untertauchten. Würde ich je die Disziplin aufbringen, das Wasser über mein Gesicht steigen zu lassen und mit offenen Augen zu ertrinken? Mich weigern, den Kopf zu heben, und es wäre vollbracht?
Das Wasser brannte mir in den Augen, bedeckte meine Nase, hüllte mich ein. Im Geist sah ich mich von oben: zerfetzte Haut und ein regloses Gesicht unter einem Wasserfilm. Einen Körper, der sich der Stille widersetzte.
Mieder, schmutzig, nörgeln, Witwe!
Mein Magen und Hals verkrampften sich, gierten verzweifelt nach Luft.
Finger, Hure, hohl!
Ein kurzer Moment der Disziplin. Welch reiner Tod.
Blume, Blüte, fein.
Ich fuhr ruckartig hoch, rang nach Luft. Drehte den Kopf keuchend zur Decke. Ruhig, ganz ruhig, sagte ich mir. Ruhig, Liebes, alles wird gut. Ich streichelte meine Wange, redete mir zu wie einem Baby – jämmerlich, was? –, doch mein Atem ging ruhiger.
Dann plötzlich, Panik. Ich griff hinter mich, tastete nach dem runden Hautfleck. Noch immer glatt.
Schwarze Wolken hingen tief über der Stadt, die Sonne drang nur verschwommen hindurch, alles wirkte kränklich gelb, als wären wir Käfer unter Neonlampen. Ich war noch geschwächt von der Konfrontation mit meiner Mutter und empfand das gedämpfte Licht als angenehm. Ein Interview mit Meredith Wheeler stand an, es ging um die Keenes. Keine Ahnung, ob viel Wichtiges dabei herauskommen würde, doch es könnte immerhin ein Zitat dabei herausspringen, das ich dringend brauchte, da sich die Keenes nach dem letzten Artikel nicht gemeldet hatten. Und da John bei Meredith wohnte, konnte ich ihn im Grunde nur über sie erreichen, was sie sicherlich genoss.
Ich wanderte zur Main Street, um mein Auto zu holen. Mir war ganz flau, als ich mich auf den Sitz fallen ließ. Ich war eine halbe Stunde zu früh bei Meredith. Da ich wusste, dass sie sich sorgfältig für meinen Besuch herrichten würde, hoffte ich, dass sie mir einen Platz auf der Veranda anbieten würde. Von dort aus könnte ich zu John hineinschauen. Wie sich herausstellte, war sie gar nicht zu Hause, aber ich hörte hinter dem Haus Musik. Am Kopfende des Pools entdeckte ich das Blondinenquartett, das in neonfarbenen Bikinis einen Joint kreisen ließ. Am anderen Ende saß John im Schatten und sah ihnen zu. Amma war gebräunt und knackig, nicht ein Hauch von Kater war ihr anzumerken. Ein bunter Happen, eine köstliche Vorspeise.
Als ich mich so viel glattem Fleisch gegenübersah, begann meine Haut zu plappern. In meinem verkaterten Zustand konnte ich ihnen unmöglich gegenübertreten und beobachtete sie daher von der Ecke des Hauses. Ich war deutlich zu sehen, doch niemand interessierte sich für mich. Ammas Freundinnen streckten sich auf ihren Decken aus und waren rasch in einen Wirbel aus Hitze und Marihuana eingetaucht.
Amma hingegen blieb stehen, funkelte John an, rieb sich die Schultern mit Sonnenöl ein, fuhr demonstrativ unter ihr Bikinioberteil, sah zu, wie John ihr dabei zusah.
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