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Cry Baby - Scharfe Schnitte: Thriller (German Edition)

Cry Baby - Scharfe Schnitte: Thriller (German Edition)

Titel: Cry Baby - Scharfe Schnitte: Thriller (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gillian Flynn
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kann es jedenfalls nicht.« Ein Fischbröckchen kullerte über sein Hemd und hinterließ eine Reihe knopfgroßer Fettflecken.
    »Du kannst mit ihr nicht über die Leichen der toten Mädchen reden oder wie viel Blut aus ihrem Mund gequollen sein muss, als man ihnen die Zähne zog, oder wie lange die Person gebraucht hat, um sie zu erdrosseln.«
    »Alan, ich habe nichts dergleichen zu meiner Mutter gesagt. Ehrlich, ich weiß überhaupt nicht, wovon du redest.« Empört war ich nicht, bloß müde.
    »Bitte, Camille, ich weiß, wie angespannt eure Beziehung ist. Ich weiß auch, wie eifersüchtig du immer auf Menschen gewesen bist, denen es besser ging als dir. Du hast wirklich Ähnlichkeit mit Adoras Mutter. Sie hat über dieses Haus gewacht wie eine … eine Hexe, alt und voller Zorn. Empfand jedes Lachen als Kränkung. Ich habe sie nur einmal lächeln sehen, und zwar, als du nicht gestillt werden wolltest. Als du Adoras Brust verweigert hast.«
    Als das Wort über Alans rissige, ölige Lippen kam, flammte mein Körper an zehn verschiedenen Stellen auf.
Saugen, Hure, Gummi
loderten empor.
    »Und das hat dir auch Adora erzählt?«, fragte ich.
    Er nickte.
    »Genau wie die furchtbaren Dinge, die ich über Marian und die toten Mädchen gesagt haben soll?«
    »In der Tat.« Die Wörter klangen präzise und abgehackt.
    »Adora lügt. Und du bist ein Idiot, falls du das nicht merkst.«
    »Adora hat es im Leben nicht leicht gehabt.«
    Ich zwang mich zum Lachen. Alan blieb ungerührt. »Als sie noch klein war, kam ihre Mutter nachts in ihr Zimmer und kniff sie.« Er betrachtete mitleidig die letzte Sardine. »Angeblich hatte sie Angst, Adora könne im Schlaf sterben. Aber ich glaube, sie wollte ihr nur wehtun.«
    Eine Erinnerung schrillte wie ein Alarm: Marian am anderen Ende des Flurs in ihrem Krankenzimmer, das voll mit pulsierenden Maschinen war. Ein scharfer Schmerz an meinem Arm. Über mir meine Mutter im wolkigen Nachthemd, sie will wissen, ob es mir gutgeht. Sie küsst den rosigen Kreis auf meiner Haut und sagt, ich solle wieder einschlafen.
    »Ich dachte, du solltest darüber Bescheid wissen«, meinte Alan. »Damit du ein bisschen netter zu ihr bist.«
    Ich hatte keineswegs vor, netter zu meiner Mutter zu sein. Ich wollte nur das Gespräch mit diesem Mann beenden, der die Dinge noch nie aus meiner Perspektive betrachtet hatte. »Ich reise so bald wie möglich ab.«
    »Gute Idee, falls du keine Zugeständnisse machen kannst. Aber du solltest es wenigstens versuchen. Es ist heilsam. Für deinen Kopf jedenfalls.«
    Alan spießte die letzte schlüpfrige Sardine auf und sog sie als Ganzes ein. Ich konnte mir vorstellen, wie die winzigen Gräten beim Kauen zerbrachen.
     
    Ich stibitzte aus der hinteren Küche eine Flasche Bourbon, besorgte mir ein Glas mit Eis und ging nach oben. Der Alkohol wirkte schnell, ich trank ja auch schnell. Meine Ohren waren heiß, meine Haut flimmerte nicht mehr. Ich dachte an das Wort in meinem Nacken.
Verschwinden. Verschwinden
für besseres Befinden, dachte ich beschwipst. Verschwinden für besseres Befinden. Wären wir auch so gemein zueinander, wenn Marian überlebt hätte? Andere Familien bewältigten solche Erlebnisse. Sie trauerten, doch ihr Leben ging weiter. Marian hingegen schwebte noch immer über uns, ein blondes Mädchen, vielleicht schon zu niedlich, zu verhätschelt. Das war, bevor sie richtig schlimm krank wurde. Sie hatte einen unsichtbaren Freund, einen ausgestopften Riesenbären, der Ben hieß. Wer hatte schon ein ausgestopftes Tier als unsichtbaren Freund? Sie sammelte Haarschleifen und ordnete sie alphabetisch nach den Bezeichnungen der Farben. Sie gehörte zu den Mädchen, die ihre Niedlichkeit mit solcher Freude ausnutzen, dass man ihnen nicht böse sein kann. Sie klimperte mit den Wimpern, schüttelte die Locken, aß immer den Teller leer, räumte ihr Zimmer auf und trug Kleider und Riemchenschuhe. Mich nannte sie Mille und fummelte ständig an mir herum.
    Ich vergötterte sie.
    Schon betrunken, trank ich dennoch weiter, schlich mit einem Glas Whisky den Flur hinunter zu Marians Zimmer. Ammas Tür war seit Stunden geschlossen. Wie musste das sein, neben dem Zimmer einer toten Schwester aufzuwachsen, die man nie gekannt hat? In mir regte sich leises Mitleid mit Amma. Alan und meine Mutter waren in ihrem großen Eckschlafzimmer, dort brannte kein Licht, nur der Ventilator surrte. Eine zentrale Klimaanlage haben diese alten Kästen nicht, und Zimmeranlagen findet meine

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