Cry - Meine Rache Ist Dein Tod
wenigen Möbeln lagen Kleidungsstücke herum, der Boden war länger nicht gewischt worden, in der Spüle stapelten sich Gläser und Becher, und die Dusche – ekelhaft! Ihre Stiefmutter Olivia würde in Ohnmacht fallen, falls sie sie jemals hier besuchen sollte. Kristi war nun einmal keine geborene Hausfrau, aber heute musste sie wirklich einmal gründlich saubermachen, bevor sie sich an den Schreibtisch setzte. Nur gut, dass die Wohnung so klein war.
Gerade als Kristi gehen wollte, hörte sie im Polizeifunk die Worte »Our Lady of Virtues« und erstarrte. Verschiedene Stimmen ertönten, darunter auch die ihres Vaters. Es ging um einen Mord.
Berichtigung: um einen
weiteren
Mord.
Kristis Kopfhaut prickelte. Das war
die
Story, mochte ihr Vater sagen, was er wollte. Die Mordfälle im Zusammenhang mit dem Our Lady of Virtues waren der perfekte Stoff für ihren Roman.
Einfach perfekt!
Sie beschloss auf der Stelle, ihr Training heute Morgen ausfallen zu lassen. Ihr blieben noch drei Stunden, bis sie sich zur Arbeit fertigmachen musste – reichlich Zeit, um zum Kloster zu fahren, anschließend noch rasch zu Hause zu duschen und dann ins Büro zu eilen. Ihr Vater würde ihr natürlich den Kopf abreißen, wenn sie dort auftauchte, aber sie konnte sich ja unter die Reporter mischen, die sicher bereits vor Ort waren. Vielleicht würde er sie gar nicht bemerken. Er war ihr wirklich keine Hilfe, verdammt … noch nicht. Das sollte sich ändern, und zwar bald. Vorerst konnte sie sich einer undichten Stelle im Morddezernat bedienen: eines süßen Kerls, der nach ein paar Drinks sicher etwas ausplaudern würde. Natürlich ging es ihm in Wirklichkeit nur darum, sie ins Bett zu bekommen, darüber gab sie sich keinen Illusionen hin, doch auf diese Weise kam sie an Informationen, und das war schließlich die Hauptsache.
Jetzt musste sie aber zunächst einmal schnellstens zum Tatort und aus erster Hand so viel wie möglich in Erfahrung bringen. Beim Kloster trieben sich bestimmt Journalisten herum, und die plapperten hemmungslos. Außerdem war sie als Tochter eines Detectives in der Kunst der Observation geschult. Ihr Vater war seit jeher überbehütend und hatte sie gelehrt, auf alles vorbereitet zu sein. Er hatte Selbstverteidigungskurse für sie bezahlt und darauf bestanden, dass sie zum Joggen eine Trillerpfeife und Pfefferspray mitnahm. In erster Linie jedoch hatte er ihr beigebracht, ihre Umgebung stets genau zu beobachten. Das war eine Marotte von ihm; er fürchtete ständig, jemand, den er hinter Gitter gebracht hatte, könnte freikommen und sich an ihm rächen, indem er Kristi etwas antat.
Dabei hatte sie bereits bewiesen, dass sie durchaus auf sich selbst achtgeben konnte.
Seit ihrer Entführung nahm sie die Ratschläge ihres Vaters allerdings ernster und hatte ihre Bemühungen im Kampfsport und dem Gebrauch von Waffen verdoppelt. Wie ihr Freund, der Computerfreak, einmal sagte: »Du bist ein verdammt harter Brocken … oder muss das ›eine Brockin‹ heißen?«
Wie auch immer.
Kristi kramte in ihrem Schrank und fand eine zerschlissene Marlins-Baseballkappe. Sie setzte die Kappe auf und zog den Schirm tief ins Gesicht. Ihre Augen verbarg sie hinter der Sonnenbrille.
Als sie einen Blick in den Spiegel warf, schöpfte sie Hoffnung, dass nicht einmal ihr Vater sie erkennen würde.
Und wenn doch?
Egal, schließlich lebten sie in einem freien Land.
Die halbtote Nonne lag nackt auf seinem Bett und stöhnte leise. Das nervte ihn. Sie kam schon wieder zu sich, und das war ein Fehler. Hatte die Stimme nicht befohlen, dass er sie entführte, sie umbrachte und die Leiche dann am vorgesehenen Ort ablegte? Hatte Gott ihm nicht ganz genau zu verstehen gegeben, was er zu tun hatte?
Und doch hatte der Retter improvisiert.
Er war zu seiner kleinen Hütte im Wald gefahren anstatt zu der Stelle, die Gott ihm genannt hatte.
Und die Nonne lebte noch.
Weil er sich von seinen Emotionen hatte hinreißen lassen. Noch im Hochgefühl des ersten Mordes, hatte er beschlossen, diese Tat auf seine Weise auszuführen. Er war der Retter und durfte bestimmen, wer leben und wer sterben sollte. Doch das war falsch. Gott würde sehr, sehr zornig auf ihn sein. Vielleicht bestrafte er ihn. Oder nahm gar sein Versprechen zurück, dass er, der Retter, vergöttlicht würde. Er musste rasch handeln. Seinen Fehler vertuschen.
Gott ist allwissend. Und er ist zornig. Deswegen hat er nicht mit dir gesprochen. Du wirst bereits
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