Cry - Meine Rache Ist Dein Tod
weiß. Aber wir müssen die Polizei informieren.«
»Nach dem Frühstück.«
»Versteht sich.«
Das Rührei war köstlich, der Speck rauchig und knusprig, die Kartoffelpuffer schmeckten göttlich. Eve hatte gerade beschlossen, dass sie sich daran gewöhnen könnte, von Cole verwöhnt zu werden, als das Telefon klingelte.
»Ich will es gar nicht wissen«, sagte sie seufzend. Dann erkannte sie die Nummer ihres Bruders auf dem Display und straffte sich. »Hallo?«
»Eve? Ich bin’s, Anna.« Die Stimme ihrer Schwägerin klang atemlos. »Hast du etwas von Kyle gehört? Er, hm, er ist nicht nach Hause gekommen, und als ich ihn endlich auf seinem Handy erreicht habe, sagte er, dass er in New Orleans ist!« Sie schien furchtbar aufgelöst und sog hastig an ihrer Zigarette. »Ist das zu fassen? Er hat mich nicht einmal gefragt, ob ich mitkommen wollte, ist nicht nach Hause gekommen, um seine Sachen zu packen – er ist einfach losgefahren, anscheinend noch am selben Tag wie du!«
»Ich wusste nichts davon«, sagte Eve, und augenblicklich war die behagliche Atmosphäre dahin.
»Er sagte, er wollte dich besuchen … Weißt du noch, ich hatte doch erzählt, dass er gespannt auf das Testament ist. Wenn er sich bei dir blicken lässt, soll er mich anrufen, okay?«
»Ich werd’s ihm ausrichten.«
»Ich packe jetzt ein paar Sachen ein, nicht nur für mich, sondern auch für diesen Mistkerl. In ein paar Stunden fahre ich los und bin je nach Verkehrslage irgendwann heute Abend in New Orleans. Aber bitte sag Kyle, er soll mich anrufen.«
»Sobald ich von ihm höre.«
»Danke.« Anna Maria seufzte tief. »Ich brauche dir wohl nicht zu sagen, dass zwischen uns nicht immer alles zum Besten steht, aber im Gegensatz zu deinem Bruder bin ich der Meinung, dass man sich den Problemen stellen und darüber reden muss, statt wegzulaufen. Moment, da kommt gerade ein Anruf … Kyle soll sich melden, ja? Mach’s gut, tschüs!«
Sie unterbrach die Verbindung, und Eve hielt ratlos den Hörer in der Hand. »Meine Schwägerin«, sagte sie und legte endlich auf. »Mein Bruder ist in der Stadt. Vermutlich ist er seit meiner Abreise aus Atlanta gar nicht mehr zu Hause gewesen.«
»Warum nicht?«
»Das hat sie nicht gesagt, aber glaub mir, ich versuche schon seit langer Zeit vergeblich, meine Familie zu verstehen.«
Cole schnaubte. »Willkommen im Club. Tja, rufen wir erst mal die Polizei an und melden unseren Fund.« Er griff nach dem Rucksack und nahm Faith Chastains Akte heraus. »Das heißt, nachdem wir die hier durchgesehen haben.«
Eve nickte beklommen, schob ihren Stuhl zurück und kramte mit der Hand des gesunden Arms zwei Schreibblöcke und Stifte aus einer Schublade. »Ich schätze, die Polizei wird das hier beschlagnahmen.« Sie zeigte auf die Akte.
Während sie sich wieder an den Tisch setzte und zu lesen begann, schenkte Cole ihnen beiden Kaffee nach und zog dann seinen Stuhl neben Eves.
Es war ein wirklich seltsames Gefühl, all die verschiedenen Eintragungen zu lesen, manche getippt, andere handschriftlich, alle über eine Frau, die mehrere Nervenzusammenbrüche erlitten, gegen Depressionen gekämpft und offenbar halluziniert hatte. Krankenschwestern, Psychiater, Psychologen und sogar Geistliche hatten zu der Akte beigetragen. Eine Schwangerschaft oder Geburt wurde jedoch nicht erwähnt.
»Vielleicht stimmt das alles gar nicht«, sagte Eve und schüttelte den Kopf. »Wie groß ist denn wohl die Chance, dass ich Faiths Tochter bin?«
Bevor Cole antworten konnte, klingelte es an der Haustür.
»Erwartest du jemanden?« Cole, auf Socken, war bereits auf dem Weg zur Tür.
»Um halb neun Uhr morgens?«, fragte sie dicht hinter ihm. »Eigentlich nicht … Ach, Moment mal! Anna sagte doch, dass Kyle auf dem Weg zu mir wäre.«
»Dann ist er jetzt wohl hier«, bemerkte Cole.
Eve sah ihm über die Schulter und erkannte in dem schmalen Fenster neben der Tür die hochgewachsene Gestalt ihres älteren Bruders. Er sah sie mit düsterem Blick an.
Eve wurde es mulmig.
»Und er ist nicht allein«, sagte Cole mit kalter, gepresster Stimme.
Erst jetzt bemerkte Eve auch Van, der etwas abseits stand, gebräunt von der Sonne Arizonas, rauchend, nervös wie ein Tiger im Käfig.
Ihre beiden Brüder standen vor der Tür.
Ausgerechnet jetzt.
Der Tag fing ja prächtig an.
»Kein Kommentar«, sagte Bentz und drängte sich auf dem Weg zum Streifenwagen an einem Reporter vorbei. Am Tatort, der mit Flatterband abgesperrt war,
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