Cry - Meine Rache Ist Dein Tod
verschwunden waren.
Als er die Zufahrt zu seinem geheimen Zufluchtsort erreicht hatte, war er allein, und sein Herzschlag hatte sich normalisiert. Doch wieder stieg ihm der Blutgeruch in die Nase. Er hatte sich des Ungehorsams schuldig gemacht.
Gott hatte ihm nie befohlen, einen Polizisten zu töten.
Nie.
Er blinzelte mehrmals rasch und hoffte, dass noch nicht alles verloren war. Sicherlich kam die Stimme in dieser Nacht zu ihm, um ihm zu versichern, dass er nur getan hatte, was unvermeidlich war, dass er trotzdem vergöttlicht würde.
Ich würde alles tun. ALLES .
Während er den Pick-up parkte, drängten die Bilder der vergangenen Stunden in sein Bewusstsein, die zu dem Fehler geführt hatten: Eve mit Cole Dennis in ihrem Haus, seine eigenen intimen Phantasien, die seinen Verstand getrübt hatten, der herannahende Polizist und die anschließende Verfolgungsjagd.
Er hatte keine Wahl gehabt. Er hatte schießen müssen. Auch wenn es nicht Teil seiner Mission war, auch wenn die Stimme ihm nicht befohlen hatte, den Cop zu töten.
Aber mit diesem einen Schuss war es nicht zu Ende.
Noch im Fallen hatte Tiggs irgendwie seine Waffe abfeuern können.
Der Retter war zusammengezuckt.
Die Kugel war von der Kühlerhaube seines Pick-ups abgeprallt.
Adrenalin trieb ihn an, und der Retter legte den Gang ein und trat das Gaspedal durch. Mit quietschenden Reifen raste der Wagen vom Parkplatz.
Mit wild klopfendem Herzen, das Rauschen seines eigenen Blutes in den Ohren und Angst in den Knochen, hatte der Retter einen hastigen Blick in den Rückspiegel gewagt.
Tiggs lag reglos da, sein Blut floss auf den Asphalt. Aus dem Restaurant strömten Menschen auf den Parkplatz. Schrien. Zeigten mit Fingern. Einer rannte sogar zu seinem Wagen, um die Verfolgung aufzunehmen. Ein anderer kniete neben Tiggs nieder, um Erste Hilfe zu leisten.
Zu spät, dachte der Retter. Inzwischen war der Schauplatz außer Sichtweite, er hatte den Möchtegern-Helden abgehängt, und was das Schicksal des Polizisten betraf, gab es keinen Zweifel.
Tiggs war eines der Opfer, die nicht gerettet wurden.
Jetzt stapfte er eilig durch die Wälder der Umgebung, ließ sich vom Schrei einer Eule in einem nahen Baum nicht beirren und ignorierte das Flattern der Fledermausflügel, als er die Tür der Hütte aufschloss und eintrat.
Zuerst würde er duschen.
Das Blut abwaschen.
Und dann würde er vor dem kalten Kamin niederknien und beten.
Um den rechten Weg.
Um Kraft.
Und, nicht zu vergessen, um Vergebung.
Bentz sah die Frau an, die ihm in seinem Büro gegenübersaß. Sie hieß Ellen Chaney, war schwarz, etwas mollig, an die fünfzig, und der Anlass für ihr Kommen war etwas, das sie in den Nachrichten gehört hatte.
Der Anruf von der Leitstelle war in das Essen mit Olivia hineingeplatzt. Widerwillig musste er das Treffen abbrechen, doch zum Glück hatte seine Frau, die selbst schon eine Menge durchgemacht hatte, Verständnis für seine Lage.
Er traf sich also mit Chaney auf dem Revier, wo ein paar Detectives noch bei der Arbeit waren. Im Vergleich zur hektischen Betriebsamkeit der Tagschicht war es jedoch auffallend ruhig.
»Sie kommen wegen der Pressekonferenz?«
»Ja.« Sie nickte und sah ihn aus dunklen Augen sorgenvoll an. »Ich war eine Zeitlang Krankenschwester im Our Lady of Virtues«, sagte sie und drehte nervös an ihrem Ehering herum. »Es … nun ja, es war deprimierend.« Sie löste den Blick von Bentz und sah ins Leere. »Manches, was dort geschah, war einfach nicht richtig, und … ich hätte es jemandem melden müssen. Der Ärztekammer, dem Staat, meinetwegen der Erzdiözese … Aber ich habe es nicht getan. Ich habe einfach meine Arbeit erledigt, und als ich eine Möglichkeit fand, mich zu verändern, habe ich die Gelegenheit ergriffen.«
Bentz hörte zu und zeichnete das Gespräch mit seinem kleinen Rekorder auf.
»Ich dachte, ich hätte das alles hinter mir gelassen. Besonders während Ihrer Ermittlungen im vergangenen Herbst, als dieser andere Serienmörder sein Unwesen trieb. So viel kam da ans Tageslicht, und ich habe darüber gelesen, hatte das Gefühl, endlich frei zu sein, aber dann …« – Sie nestelte heftiger an ihrem Ring – »… dann fing alles von vorn an, und wieder gibt es Gerede über Faith Chastain. Ich dachte mir, als sie exhumiert wurde, da hätte doch jemandem die Kaiserschnittnarbe auffallen müssen.«
Bentz horchte auf, ließ die Frau jedoch weitererzählen, ohne sie zu unterbrechen. Die
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