Cry - Meine Rache Ist Dein Tod
unter der Kommode.
Eve tastete nach dem Handy und knipste die Nachttischlampe an. Sie blinzelte in die plötzliche Helligkeit. Ihr Herz schlug rasend schnell.
Sie drückte die Taste. »Hallo?«
»Er ist frei«,
warnte die gleiche rauhe Stimme, die sie schon einmal gehört hatte.
Eve schnappte nach Luft. »Wer spricht da?«
Keine Antwort. Doch die Verbindung wurde nicht unterbrochen.
»Hör zu«, sagte sie, wobei sie sich bemühte, sich ihre Angst nicht anmerken zu lassen. »Wer immer du bist, ich weiß, dass er frei ist, okay? Du brauchst mich also nicht mehr anzurufen!«
»Eeeer iiist freiiii …«,
zischte die Stimme noch einmal so leise, dass Eve sie kaum hören konnte.
Klick.
Der Anrufer hatte aufgelegt.
»Mistkerl«, flüsterte Eve, strich sich das Haar aus dem Gesicht und versuchte, sich zu beruhigen. Wer zum Kuckuck belästigte sie? Jetzt rief er auch schon mitten in der Nacht an, um Gottes willen. Natürlich wieder mit unterdrückter Nummer, wie sie mit einem Blick auf das Display ihres Handys feststellte. Wer immer der Dreckskerl war, er wollte ihr mit seinen anonymen Anrufen Angst einjagen.
Sie schaltete das Licht aus, lehnte sich gegen das Kopfteil ihres Bettes und sah auf die roten Leuchtziffern ihres Weckers.
Zwei Uhr sechsunddreißig.
Welcher vernünftige Mensch rief denn um …
Sie unterbrach sich selbst – hier hatte sie es nicht mit einem »vernünftigen Menschen« zu tun, so viel stand fest.
»Zum Teufel.«
Sie lag im Dunkeln und wartete darauf, dass ihr Puls sich beruhigte. Wer war der Unbekannte? Von wo aus rief er an? Warum glaubte er, ihr mitteilen zu müssen, dass Cole wieder auf freiem Fuß war? Das war doch bereits zur Genüge durch die Medien gegangen. Und diese Anrufe waren keine wohlwollende Warnung. Nein, sie waren bedrohlich. Teuflisch.
Jemand will dich terrorisieren.
»Und das gelingt ihm verdammt gut«, gestand sie sich ein. Der Kater sprang wieder aufs Bett und schmiegte sich an sie. Geistesabwesend streichelte sie Samson, froh, dass er ihr verziehen hatte.
Warum will jemand …
Klopf! Klopf! Klopf!
Eve blieb beinahe das Herz stehen. Sie biss sich auf die Zunge, um nicht zu schreien. Jemand klopfte an ihre Tür! Samson hob den Kopf.
Eve wagte kaum zu atmen, doch das Poltern im Erdgeschoss hörte nicht auf. Es hörte sich an, als hämmerte jemand gegen die Hintertür. Ob es der Anrufer war? Vielleicht hatte er sich vergewissern wollen, ob sie zu Hause war.
Doch niemand wusste, dass sie wieder hier war!
»Dreh jetzt nicht durch«, flüsterte sie vor sich hin, der Panik nahe. Sie erwog, die Polizei zu rufen, entschied sich jedoch dagegen … vorerst. Immerhin war sie hier zu Hause und nicht in irgendeinem abgelegenen Sumpfgelände.
Denk nicht an die Nacht, in der Roy ermordet wurde.
Bleib ruhig. Handele überlegt.
Ohne Licht zu machen, zog sie ihren Bademantel an und hastete über den Flur in das Zimmer, das ihr Großvater als Arbeitszimmer genutzt hatte. Auch zwanzig Jahre nach seinem Tod befanden sich hier noch einige seiner Habseligkeiten: Fotos von ihm und seiner Frau, seine Diplome, sein alter Lieblingssessel und sein Revolver. Im Licht einer nahen Straßenlaterne fand Eve die Waffe in der untersten Schublade des Schreibtisches. Der Revolver war nicht geladen, und soweit sie wusste, befand sich auch keine Munition im Haus, sie nahm die Waffe dennoch mit, ebenso wie ihr Handy.
Falls sie es mit einem Einbrecher zu tun hatte, konnte er ja nicht wissen, dass die Waffe ungefährlich war.
Mit erzwungener Ruhe schlich sie die Treppe hinunter. Ihre Augen hatten sich inzwischen an die Dunkelheit gewöhnt. Außerdem war sie als Kind tausendmal im Dunkeln durch dieses Haus gestreift. Jetzt vermied sie es, das Licht einzuschalten, um sich nicht durch ihren Schatten zu verraten.
Bamm! Bamm! Bamm!
Der Störenfried hämmerte so heftig gegen die Hintertür, dass die Glasscheibe in den dicken Eichenpaneelen klirrte. Ein Einbrecher hätte bestimmt nicht auf diese Weise auf sich aufmerksam gemacht. Wohl aber ein Verrückter, jemand, der unter Drogen stand, jemand, der verzweifelt war.
Die Finger um das Griffstück des Revolvers gekrampft, schlich Eve den langen Flur zwischen Wohn- und Esszimmer entlang und am Bad vorbei bis zur Küche. Das Herz schlug ihr bis zum Hals, die Angst ließ ihr schier das Mark in den Knochen gefrieren.
Keine Panik,
ermahnte sie sich wieder. Doch dann trat sie in den Vorraum, von dem aus sie durch die Scheibe in der Hintertür nach
Weitere Kostenlose Bücher