Cryer's Cross
Trauriges … weil es doch nicht Nico war, dort draußen, selbst nach ihrem Albtraum. Dennoch, sie explodiert nicht so, wie sie es am liebsten getan hätte, nachdem er fertig ist. Sie dreht sich einfach um und sagt: »Okay.«
Dann zuckt sie mit den Schultern, geht zurück in die Schule und lässt ihn stehen.
Einen Augenblick später setzt er sich neben sie an seinen Platz und starrt geradeaus.
Sie reden den ganzen Tag nicht miteinander.
Kendall sieht nachdenklich Nicos Tisch an. Sie denkt daran, dass Tiffany Quinn dort gesessen hat und verschwunden ist. Und dass Nico dort gesessen hat und verschwunden ist. Und jetzt kann sie nur noch daran denken. Was würde passieren, wenn sie dort sitzen würde? Vielleicht wäre es besser, zu verschwinden. Und zumindest wäre dort zu sitzen so in etwa, wie eines von Nicos Hemden zu tragen. Es ist vielleicht ein Trost, an dem Platz zu sitzen, wo er saß. Vielleicht hilft es ihr, es zu überwinden.
Vielleicht setzt sie sich morgen dorthin.
Auf dem Heimweg ist die Atmosphäre im Pick-up angespannt. Marlena, die nichts von dem Vorfall weiß, erzählt, dass sie es gar nicht mehr erwarten kann, ihren Gips loszuwerden, während Jacián und Kendall schweigend geradeaus sehen, bis sie vor Kendalls Haus ankommen.
»Vielen Dank«, murmelt sie wie üblich. Als sie die Tür zuschlägt, sieht sie die Furcht in Jaciáns Augen. Er schluckt schwer, sein Adamsapfel zuckt, dann sieht er weg, während Marlena ihr durch das Fenster zuwinkt, ohne ihr Geplauder zu unterbrechen. Kendall bleibt kurz verwundert stehen und geht dann zum Haus. Erst als sie draußen die Kartoffeln erntet, wird ihr klar, warum er so verängstigt ausgesehen hat.
Er kommt aus einer Großstadt, einem Ort, wo Leute Autos stehlen, wenn man es ihnen nicht zu schwer macht. Er glaubt wirklich, dass sie und ihre Familie ihn anzeigen wollen.
Einen Augenblick lang hält Kendall in ihrer Arbeit inne und lacht zum ersten Mal seit Wochen fast laut auf. Armer Jacián. Wahrscheinlich hat er sich den ganzen Tag darüber Sorgen gemacht.
Sie muss daran denken, was er gesagt hat. Dass er glaubt, sie würde leiden. Tränen steigen ihr in die Augen. Sie hat nicht gewusst, dass unter der ganzen Wut tatsächlich ein Herz in seiner Brust schlägt. Doch der Einzige, der ihren Schmerz durch ein Gespräch lindern könnte, ist Nico.
Auf ihrem Weg nach Hause erzählt Kendall ihrer Mutter, was in der vorigen Nacht passiert ist.
»Du hättest mich wecken sollen«, sagt Mrs Fletcher mit strengem Blick.
»Es war nicht so schlimm«, entgegnet Kendall, und heute, bei Tageslicht, wo sie die Wahrheit weiß, scheint es tatsächlich nicht so schlimm zu sein. »Und ihr arbeitet so schwer, da wollte ich euch nicht wecken. Wollt ihr Jacián anzeigen?«
»Sei doch nicht albern. Was sollen denn die Leute von uns denken? Das wäre ja schrecklich für den armen Jungen. Nach allem, was er für dich getan hat, indem er dich überall herumfährt.«
Kendall zuckt mit den Achseln, aber es ist beruhigend zu wissen, dass ihre Mutter ihn nicht für einen schlechten Kerl hält.
Als Sheriff Greenwood anruft, erzählt er dasselbe wie Jacián, nur nicht so ausführlich.
»Wollen deine Eltern ihn anzeigen? Dann muss ich mit ihnen sprechen«, sagt er. »Ich kann mir das zwar nicht vorstellen, aber ihr habt das Recht dazu.«
»Nein, ich habe mit meiner Mutter darüber gesprochen. Wir wollen das nicht.«
»Gut, ich werde es ihm mitteilen. Es wird ihn freuen. Ich sage ihm, er soll sich nachts von den Einfahrten anderer Leute fernhalten.«
»Okay. Danke.«
Sie legen auf.
Mrs Fletcher lächelt Kendall aus der Küche zu, wo sie den Eintopf vom Vortag in der Mikrowelle aufwärmt.
»Nun, Kendall.«
Kendall seufzt. »Ja?«
»Hast du über andere Colleges nachgedacht?«
Sie lässt den Kopf in die Hände sinken.
»Ich bin viel zu müde und zu hungrig für so ein Gespräch. Können wir ein andermal darüber reden?«
Mrs Fletcher rührt den Eintopf um.
»Ich mache mir ein wenig Sorgen um dich.«
»Mir geht es gut. Ich … ich versuche nur, darüber hinwegzukommen.«
Mrs Fletcher sieht Kendall lange an.
»Na gut. Das Leben wird in ein paar Wochen, wenn die Ernte eingebracht ist, wieder normal sein. Dann reden wir über die Zukunft.«
Kendall antwortet nicht. Normal? Ohne Nico kann das Leben gar nicht wieder normal werden.
Wir
Mit der Zeit werden Wir stärker. Wir sammeln Unsere Kraft. Schmecken die Nähe des Lebens.
Die Zeit wird kommen. Bald. Wir bemühen Uns,
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