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Cryer's Cross

Cryer's Cross

Titel: Cryer's Cross Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Baumhaus
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versucht zu verstehen, was eben passiert ist. Sie weiß, dass es nur an ihren Gefühlen, an ihrer Trauer liegen kann. Ihre Emotionen haben sie überwältigt und sie in die Irre geführt. Sie haben sie daran erinnert, wie gut es sich angefühlt hat, mit Nico zusammen zu sein.
    » So schön war es nie«, murmelt sie. In ihren Schläfen hämmert es.
    »Was?«, erkundigt sich Jacián.
    Erschrocken wendet sich Kendall ihm zu. In seinen braunen Augen blinken gelbe Tupfen, und seine Augenbrauen sind besorgt zusammengezogen.
    »Nichts«, erwidert sie. »Ich … habe nur laut gedacht.«
    Jacián sieht sie an.
    »Du hast laut gedacht?«
    »Habe ich doch gesagt.«
    Achselzuckend nimmt er seinen Block aus dem Rucksack.
    »Also«, sagt er, »wenn du mit diesen Kartoffeln fertig bist, könnte ich wirklich einen Fußballpartner gebrauchen. Wenn du nicht immer noch böse auf mich bist. Ich meine, du kannst jederzeit mit zu uns kommen.«
    In Kendalls Kopf summt es immer noch. Sie rückt von Nicos Tisch weiter zu Jacián hin.
    »Ich bin viel zu müde, um auch nur ans Spielen zu denken.«
    »Das liegt daran, dass du nicht spielst.«
    »Welchen Grund habe ich denn, zu spielen?«
    Jacián blickt sie lange an. Doch dann schüttelt er nur leicht den Kopf und sieht wieder nach vorne.
    Schweigend warten sie darauf, dass Ms Hinkler den Nachmittagsunterricht beginnt. Die nächsten drei Stunden kann Kendall nicht aufhören, daran zu denken, was mit dem Tisch passiert ist.
    Und dass sie Nicos Stimme gehört hat.
    Am Abend hat Kendall sich das Geschehene rational erklärt. Ihre Trauer hat ihrem Gehirn einen Streich gespielt. Natürlich war ihre Verbindung zu Nico stark, sie waren ja gewissermaßen wie Zwillinge, so, wie sie zusammen aufgewachsen sind und immer zusammen waren. Natürlich wird sie gelegentlich denken, dass sie seine Stimme hören kann. Das ist zwar ein wenig gruselig, aber völlig normal. Völlig erklärbar. Und sehr traurig.
    Sie fühlt sich nur so einsam.
    Sie liegt im Bett, hat die Fenster sechsmal überprüft, und der Mond scheint durch die dünnen weißen Vorhänge. Sie ist so einsam, dass ihre Arme schmerzen, weil sie niemanden umarmen können.

Wir
    Zu viel!
    Wir ziehen uns zurück, saugen Unser hypnotisches Gift auf, doch es ist zu spät. Die Hitze, das Leben ist fort. Zu stark, zu verzweifelt. Und du … du willst nicht? Du bist nicht formbar? Wir fluchen jetzt im dunklen, ruhigen Raum. Unsere einzige Möglichkeit ist, Uns zu bewegen.
    Wir stöhnen und ächzen, schleppen uns voran. Unsere aufgebaute Stärke schwindet mit jeder Bewegung.
    Wir haben keine andere Wahl.

19
    Am nächsten Morgen, bei strömendem Regen, kommt er allein.
    »Wo ist Marlena?«, fragt Kendall, als sie einsteigt.
    Jacián kaut auf einem Zahnstocher und blinzelt mit seinen dunklen Augen durch die Regenschlieren, die der Scheibenwischer hin- und herschiebt. Er legt den Gang ein.
    »Bozeman. Sie wird heute vom Arzt untersucht. Der Gips kommt runter.«
    »Oh, das ist gut. Cool.«
    »Sie wird aber immer noch ein paar Wochen lang so eine Stiefelschiene tragen müssen.«
    »Iih. Grässlich. Das ist ein ernsthafter Mode-Notfall.«
    Jacián sieht sie lachend an. »Meine Eltern und mein Großvater würden dich und deine Familie gerne am Sonntag zum Feiern einladen. Marlena wird sechzehn. Meinst du, ihr habt Zeit?«
    »Nur wir?«
    »Nein. Die Greenwoods kommen auch und Marlenas neue Freunde aus der Zehnten. Und ein paar andere. Ich weiß es nicht genau. Mein Großvater wird deine Eltern anrufen, aber ich wollte es dir schon mal sagen.« An der Kreuzung in der Stadt wird er langsamer und schaut in den Regen. »Vielleicht können wir mit Eli und ein paar anderen ein Übungsspiel machen, wenn sie kommen.«
    Wieder sieht er sie an, doch dieses Mal sind seine Augen ernst.
    Kendall lächelt halb.
    »Ich habe heute meine Sachen mitgebracht«, erklärt sie und tätschelt ihren Rucksack. »Mum hat gesagt, ich würde zu viel Trübsal blasen, und hat mir freigegeben. Ich habe sie eingepackt, bevor ich hinausgeguckt und dieses Mistwetter gesehen habe.«
    »Tatsächlich?« Er klingt überrascht. Erfreut. »Ein wenig Regen schadet nichts«, entgegnet er und lächelt flüchtig. Er biegt auf den Parkplatz ein. »Sag mir Bescheid wegen Sonntag. Zwei Uhr. Oder sag es Marlena, wie du willst.«
    »Das mache ich.«
    Er schaltet den Motor aus, und von ihrem Atem beschlägt die Scheibe. Eine Minute lang sitzen sie schweigend da und sehen in den Regen hinaus, doch er lässt nicht

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