Cryonic: Der Dämon erwacht (Cryonic 1) (German Edition)
herausgestellt. Sei’s drum, Typen wie den änderte man einfach nicht. Aber mit den Drobitschenkos hatte er sich ein echtes Problem aufgehalst. Es würde ewig dauern, bis sie begreifen würden, in was für einer Welt sie in Zukunft leben mussten. Nein, er war nicht enttäuscht – aber hätte das Akademiemitglied Rakitski nicht jemanden mit ein bisschen mehr Grips im Kopf finden können?
Schließlich fütterte er den Drachenjungen und stieß einen langen lautlosen Pfiff aus, um den Fleder zu rufen. Endlich tauchte der übersatte Vampir auf, schlüpfte in die kleine Tasche am Sattel der Stute und schlief ein, den dicken Bauch nach oben gestreckt.
»Du hast es gut!«, sagte Artur zu ihm. »Du findest immer was zu futtern, egal wer an der Macht ist!«
Der Fleder öffnete ein Auge und krächzte »Kcha!« Aus seiner Schnauze hing ein Büschel Rabenfedern. Kowal studierte noch einmal die Karte, schwang sich in den Sattel und ritt in Richtung Markt davon. Wenn irgendwo Pferde verkauft würden, dann dort. Als er sich vorstellte, wie viel Zeit es ihn kosten würde, Ludmila Drobitschenko zu überreden, sich auf ein Pferd zu setzen, sank ihm schon jetzt der Mut.
Moskau war immer groß gewesen, jetzt war es noch weiter gewuchert. Vieles erkannte Artur wieder, vieles war in den zwanzig Jahren vor der Katastrophe jedoch auch verändert worden. Die Uferstraße an der Moskwa hatte sich eine parallele Hochstraße zugelegt, hinter der Ustinski-Brücke spannte sich eine zweite über den Fluss. An der Moskworezki-Brücke machte er ein Autobahnkreuz mit drei Leveln aus. Dort hatte man auch eine Straßensperre errichtet, die von Posten bewacht wurde. Artur hielt es für klüger, diese auf der anderen Seite des Flusses hinter sich zu bringen. An den Brückenpfeilern lagen vier miteinander verbundene Fischerkähne vor Anker. In einem von ihnen brannte ein kleiner Ofen, während kräftige Kerle in Wattejacken die Netze einholten.
Danach begegnete ihm niemand mehr. Durch Gärten gelangte Kowal zur Kirche des Märtyrers Georg des Siegreichen, schätzte die Maße der Zerstörung ab und wandte sich dann der Bolotnaja-Uferstraße zu. Er musste in der Tat zugeben, dass die Straßen insgesamt ganz gut aussahen. Die Bulldozer hatten – da die Uferstraßen keine Brüstung besaßen – in den heißen Tagen der Krise sämtliche Verkehrsmittel in den Fluss gekarrt. Einige mit Kletten zugewachsene Autos entdeckte er noch am Ufer. Es sah aus, als sei eine Herde Elefanten zum Trinken an den Fluss gekommen. Als Nächstes bemerkte er einen demolierten Panzer. Und obwohl er keine Hinweise auf schwere Artillerie entdeckte, waren die Fassaden in allen unteren Stockwerken von Kugeln durchsiebt.
Ihm kam ein fast intakter Jeep entgegen, nur dass auf den Felgen keine Gummireifen saßen, sondern sie mit irgendwelchen Lappen umwickelt waren. Drei unrasierte Typen fuhren darin und warfen ihm finstere Blicke zu. An der Seite des Wagens prangte ein plumpes dreifarbiges Emblem. Ähnliche Symbole hatte er schon an einigen Hauswänden gesehen. Sie besagten, dass es sich um Garnisonsbesitz handelte. Sie haben die Stadt schon unter sich aufgeteilt, dachte er niedergeschlagen. Und jetzt stecken sie ihre Territorien ab. Wahrscheinlich kann niemand kurzerhand in ein Haus einziehen, das ihm gefällt. Als Kind … habe ich da nicht immer davon geträumt, in einem dieser Stalinbauten zu wohnen? Komisch, die gibt’s sogar heute noch. Daneben machte er im Morgennebel noch einige gigantische Gebäude am Stadtrand aus. Einige zeigten schwarze Rußspuren. Dennoch brannte weiter oben in den Fenstern Licht.
Er roch den Markt, noch ehe er ihn sah. Trotz der frühen Stunde wimmelte es in dieser Gabelung der Moskwa bereits von Menschen. Man hatte Hunderte, wenn nicht gar Tausende von Zelten aufgestellt. Gehandelt wurde an Karren, aber auch von Sattelschleppern herunter, vor die Ochsen gespannt waren, aus schnell zusammenmontierten Containern heraus und direkt auf dem Boden. Entlang der Bersenjowskaja-Uferstraße zogen sich Holzstege hin, an denen immer wieder ganze Flotten von Booten anlegten. Brüllend und grölend luden die Lastarbeiter Fässer ab und bildeten Ketten, um sich Waren zuzuwerfen. An einer Anlegestelle weiter hinten lag ein großer Kahn, der Holz gebracht hatte. Die Bootsleute bedienten ein Gewinde, um ein pralles Netz mit Brennholz hochzuhieven. In der Bolschaja Poljanka krakeelten Arbeiter. Die Posten mit den Plaketten des Kremls um den Hals ließen jeden Karren
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