Cryonic: Der Dämon erwacht (Cryonic 1) (German Edition)
Eremitage kamen im Moment achtundvierzig gebärfähige. Vier von ihnen – vier zukünftige Mütter – sollten morgen mit der Karawane nach Moskau aufbrechen und dort verkauft werden. Sie kosteten mehr als alle anderen Waren zusammen.
Artur brauchte eine ganze Weile, um all diese Informationen zu verdauen.
»Und dieses Tier im Erdgeschoss?«, er stellte die Frage, die ihn nach wie vor beschäftigte.
»Das Tier ist ein Geschenk aus dem Ural«, antwortete Michail mit einem Lächeln. »Wir haben mehrere Exemplare davon. Kein Wunder, dass es dir einen solchen Schrecken eingejagt hat. Tiger, Bullterrier und viele andere neue Arten sind längst nicht das Schlimmste. Die Bullterrier zum Beispiel sind bei uns entstanden, an der Ostseeküste. Mein Vater hat mir erzählt, dass er sie als junger Mann quasi noch an einer Hand abzählen konnte. Deshalb brauchen wir auch dringend jemanden, der etwas von Sanitärtechnik versteht, um die Wassergewinnung …«
»Ich habe in alten Zeitungen gelesen«, mischte sich Lew ein, der sich seinen spärlichen Bart kratzte, »dass bei Kriegen in der Vergangenheit ungeheure Mengen schädlicher Chemikalien in die Ostsee geleitet worden seien. Außerdem sollen im Jahr des Großen Todes die Kläranlagen ausgefallen sein. Zehn Jahre später sind dann die Wälder im Süden gestorben, dort, wo das verlassene Atomkraftwerk liegt. Von dem verseuchten Wasser haben Vögel, Hunde und andere Tiere getrunken, ja sie trinken es sogar immer noch. Du darfst also von Glück sagen, dass du keinem Fleder oder Sumpfluchs begegnet bist. Die zeigen sich zwar nur selten in den Straßen und halten sich tagsüber meist in Kellern auf, aber … Unser Tiger ist alles in allem eine recht friedfertige Kreatur, zumindest im Vergleich zu den Biestern am …«
»Und im Vergleich zu den Menschen, Lew!«, unterbrach ihn Pap Rubens. »Du musst wissen, Artur, dass Lew der gebildetste Mann in unserer Museumskommune ist. Erst vor Kurzem hat er eine Theorie formuliert, die, wenn du mich fragst, nicht von der Hand zu weisen ist.«
»Dafür hat er die gesamte Öffentliche Bibliothek hierher geschleppt. Nicht einmal die Kommune der Kirchenleute besitzt so viele Bücher«, ergänzte Lidia, während sie ihrem Mann noch Tee nachschenkte. »Und diese Theorie hat in der Tat eine Menge für sich, anders lässt sich all dieser Wahnsinn nicht erklären. Erzähl Artur davon, Lew!«
Dieser lief vor Verlegenheit sogar rot an, auch wenn unverkennbar war, dass ihm das Lob der beiden Rubens schmeichelte.
»Die Idee an sich ist keineswegs neu, vermag aber Licht in etliche Merkwürdigkeiten zu bringen, die wir in den letzten Jahren beobachtet haben. Ich würde annehmen, dass dir, Artur, diese Veränderungen wie furchtbare … Wunder vorkommen …«
»Ich werd dann mal!«, erklärte Pap Rubens und erhob sich. Auf der hohen Lehne seines geschnitzten Stuhls prangte ein doppelköpfiger Adler mit Zepter, über ihr hing eine schon kahl gewordene Hermelinstola. »Nimm Artur ruhig noch mit zu dir, Lew, damit ihr euch weiterunterhalten könnt. Ich muss euch jetzt verlassen.« Dann wandte er sich an Artur. »Du bist nach dem langen Schlaf doch sicher noch nicht müde, oder, mein Freund?«
»Wie lange habe ich denn nun eigentlich geschlafen?« Pap Rubens’ ironische Bemerkung brachte Kowal auf den harten Boden der Tatsachen zurück: Die entscheidende Frage hatte er immer noch nicht geklärt!
Mam Rubens tätschelte ihm sanft die Schulter. Lew tat so, als suche er etwas in seiner Teetasse, Arina drehte sich den Wolfsjungen zu.
»Wir schreiben das Jahr 2127 nach Christi Geburt, mein Junge«, sagte Michail, der den Kartentisch umrundete und Artur fest in die Augen sah. »Den Kirchenleuten, die über die Zeit wachen, unterläuft kein Fehler. Du hast einhundertundzwanzig Jahre in der Kälte geschlafen!«
(8)
DER NEUE RUSSISCHE TEUFEL
Trotz seiner Jahre hüpfte Lew wie ein Tennisball durch die schummrigen verwinkelten Gänge des Winterpalasts. Daljar hatte seinen Dienst als Nachtwache angetreten, Louis musste, nachdem Mam Rona sich über seine Wunden informiert hatte, noch einmal in die Sanitätsstelle. Nach dem Gespräch wollte Artur auf gar keinen Fall allein bleiben. Und da Pap Rubens schon vorgeschlagen hatte, sich diesem Büchernarren anzuschließen … Einhundertzwanzig Jahre! Die Erkenntnis, was das bedeutete, hatte ihn wie der Blitz getroffen. Selbst wenn es nicht zu einer Katastrophe gekommen wäre, hätten sich in dieser Zeit alle, die er
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