Cryonic: Der Dämon erwacht (Cryonic 1) (German Edition)
Himmel genügte, damit Artur nur noch einen Wunsch hegte: sich irgendwo zu verstecken. Außerdem juckte sein Hals prompt. Fünf Meter über der Erde bildete sich direkt über den Wagen eine schwarze surrende Wolke, die von Sekunde zu Sekunde stärker anschwoll. Der Anblick war grauenhaft, zugleich aber auch faszinierend. Artur fühlte sich wie das sprichwörtliche Kaninchen vor der Schlange.
Den anderen erging es nicht anders. Sergo stieß mit gedämpfter Stimme einen georgischen Fluch aus, Charly zog sich die Kapuze seines Kettenhemds vom Kopf und wischte sich den Schweiß von der Stirn. Ein Soldat hinter Artur betete, leise und fast lautlos. Die Wolke wurde immer größer und dichter, denn Hunderte, ja Tausende von Insekten schlossen sich ihr minütlich an und mischten auch ihre feinen Stimmchen in das allgemeine wütende Gesumm.
»Das sind Millionen!«, hauchte Rokotow. »Wie kann das sein … zu dieser Jahreszeit …?!«
»Die Biester dürfte es hier überhaupt nicht geben!«, bemerkte Sergo. »Um uns herum ist nur feuchter Wald. Nein, diese Dämonen müssen die Viecher in der Tat mitgebracht haben. Und gegen die würden wir selbst mit tausend Gewehren nichts ausrichten.«
Die surrende Wolke veränderte fließend ihre Konturen, verwandelte sich in einen großen pulsierenden Ring und erreichte bereits einen Durchmesser von zehn Metern. Nach einer Weile legte sich der Ring langsam auf die Seite, fast als hätte er eine unsichtbare Achse und würde gekippt. Genauso langsam hielt er auf die Männer im Panzerwagen zu, die diesen Bienenangriff mit in den Nacken gelegten Köpfen beobachteten. Wenn diese Abermillionen von giftigen Stacheln erst mal zum Einsatz kommen …, dachte Artur. Nein, die Sache ist entschieden! Den Museumsleuten bleibt gar keine andere Wahl.
»Los!«, herrschte er Sergo an und packte ihn heftig am Oberarm. »Sag ihnen sofort, dass wir tun, was sie verlangen! Ich lasse den Wipper raus und gehe mit ihnen!«
»Das kann ich nicht!«, jammerte Sergo. »Dann ertränkt mich Pap Rubens wegen Feigheit!«
»Wenn du es nicht tust, sterben wir alle!« Durch einen Spalt im Wagenring warf er einen Blick auf die drei Gestalten in Weiß, die so genüsslich ihre Beeren verspeisten, als ginge sie das alles nichts an. »Du bringst die Karawane um. Christoph, he, du Fresssack! Was rätst du uns?«
Der Junge stellte sich aufs Trittbrett, schirmte die Augen mit der Hand ab, musterte den teuflischen Bienenreigen, steckte sich einen getrockneten Birnenring in den Mund und verkündete: »Wer weggeht, kehrt auch wieder. Es geht allen schlecht, wiewohl es allen gut geht.«
Mit diesen Worten endete der kleine Feldrat. Der freigelassene Wipper legte seltsamerweise keinerlei Schadenfreude an den Tag. Er blinzelte ein paarmal, um sich an das Sonnenlicht zu gewöhnen. Sobald er den Erdboden unter seinen nackten Füßen spürte, lächelte er glücklich und zufrieden. Eine Minute lang wippte er auf den Füßen hin und her, dann ging er, ohne sich auch nur einmal umzudrehen, auf die drei Wipper zu. Die Bienen summten, die Pferde wieherten und pressten sich eng aneinander. Die ersten Angehörigen der Karawane hatten sich bereits Stiche eingefangen. Trotzdem wurden keine Klagen laut. Über Arturs Kleidung krochen gleich drei Bienen, auf den Wagendächern landeten sie zu Tausenden, und von den Telefonleitungen hingen sie wie lebende Girlanden herunter. Einige Hunde der Cowboys bissen ihre Leinen durch und huschten mit eingezogenem Schwanz und dicht an den Boden geschmiegt zum Wald, andere verkrochen sich hinter den Rädern der Wagen.
Die Wipper erlaubten den Müttern, ihre Mitgift zu behalten, und erhoben selbst gegen Arturs Waffen keinen Einspruch. Hinter einer Straßenbiegung tauchte eine kleine geschlossene Kutsche auf, die von vier prachtvollen grauen Pferde gezogen wurde. Ein paar Männer luden die Bündel und Truhen der Mütter ein, stierten dabei aber ununterbrochen nach unten und mieden jeden Blickkontakt mit den Wippern. Als Feldwebel stand es Artur zu, neben seinen persönlichen Sachen einen Zuber und zwei Kohlenbecken mit einem entsprechenden Vorrat an Heizmaterial mitzunehmen. Rokotow verfolgte das Ganze mit absolutem Desinteresse, die Wipper waren hingebungsvoll damit beschäftigt, in aller Gemütlichkeit zu plaudern, ganz wie eine Familie am Sonntagabend auf der Wiese ihrer Datscha. Sergo strich nur schweigend über seinen Säbel. Das Surren der Bienen war derart laut, dass man schreien musste, um sich
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