Cryptonomicon
Gefrierschrank holen, imstande, das Gewicht auf hundertdreißig zu steigern. Enoch Root – der sich mit exotischen Messsystemen auszukennen scheint – hat eine Berechung vorgenommen und zweimal überprüft, derzufolge das Gewicht von Gerald Hott, ausgedrückt in Kilogramm, bei einhundertdreißig liegt.
Sämtliches Fleisch wandert in den Sarg. Ethridge knallt den Deckel zu und schließt damit auch ein paar Fliegen ein, die keine Ahnung haben, was ihnen bevorsteht. Root geht mit einem Klauenhammer drumherum und schlägt mit sicheren, kräftigen, Zimmermann-von-Nazareth-haften Schlägen Sechzehn-Penny-Nägel ein. Ethridge hat inzwischen ein GI-Handbuch aus seiner Aktentasche gezogen. Shaftoe steht so nahe, dass er den Titel lesen kann, der in Blockbuchstaben auf den olivgrünen Einband gedruckt ist:
VORSCHRIFTEN ZUM VERSCHLIESSEN VON SÄRGEN
TEIL III: TROPISCHE BEDINGUNGEN
BD. II: SITUATIONEN MIT HOHEM ANSTECKUNGSRISIKO (BEULENPEST ETC.)
Die beiden Lieutenants wenden eine gute Stunde daran, die Anweisungen des Handbuchs zu befolgen. Die Anweisungen sind nicht sonderlich kompliziert, doch Enoch Root fallen fortwährend syntaktische Zweideutigkeiten auf, deren Weiterungen er nachgehen will. Das macht Ethridge zunächst nervös, dann tendiert sein Gemütszustand zu Ungeduld und schließlich zu äußerstem Pragmatismus. Damit der Priester die Klappe hält, nimmt Ethridge das Handbuch an sich und veranlasst Root, mit Schablone Hotts Namen auf den Sarg zu schreiben und diesen mit roten Aufklebern zu versehen, die mit derart Furcht erregenden medizinischen Warnungen bedruckt sind, dass allein schon die Überschriften leichte Übelkeit hervorrufen. Als Root fertig ist, darf von Rechts wegen nur noch General George C. Marshall persönlich diesen Sarg öffnen und selbst er bräuchte zunächst eine Sondererlaubnis des Generalstabsarztes und müsste zuvor sämtliche Lebewesen im Umkreis von einhundert Meilen evakuieren.
»Der Priester redet irgendwie komisch«, sagt Private Nathan irgendwann, nachdem er mit heruntergeklapptem Kiefer eine der Root/Ethridge-Debatten verfolgt hat.
»Stimmt!«, ruft Private Branph aus, als müsste man sehr genau hinhören, um den Akzent zu bemerken. »Was ist das eigentlich für ein Akzent?«
Aller Augen richten sich auf Bobby Shaftoe, der so tut, als höre er ein Weilchen zu, und dann sagt: »Tja, Leute, ich würde sagen, dieser Enoch Root ist der Nachkomme einer langen Reihe holländischer, möglicherweise auch deutscher Missionare auf den Südseeinseln, mit australischen Einsprengseln. Und außerdem würde ich sagen, dass er – weil er in Gebieten groß geworden ist, die von den Briten beherrscht werden – einen britischen Pass hat, bei Kriegsbeginn von deren Militär eingezogen wurde und jetzt zum ANZAC gehört.«
»Ha!«, röhrt Private Daniels, »wenn das alles stimmt, geb ich Ihnen fünf Dollar.«
»Abgemacht«, sagt Shaftoe.
Ethridge und Root werden ungefähr zur gleichen Zeit mit dem Verschließen des Sarges fertig, zu der Shaftoe und seine Marines die letzten Teile des Taucheranzugs an Ort und Stelle fummeln. Es braucht eine Riesenladung Talkumpuder, aber sie schaffen es. Ethridge versorgt sie mit dem Talkumpuder, das kein GI-Puder ist; es kommt von irgendwoher in Europa. Über einigen der Buchstaben auf dem Etikett stehen zwei Punkte, was, wie Shaftoe weiß, ein Charakteristikum der deutschen Sprache ist.
Ein Lkw, der nach Farbe riecht (es ist ein Lkw von Abteilung 2702), fährt rückwärts an die Laderampe. Hinein wandern der verschlossene Sarg und der mittlerweile vulkanisierte tote Metzger.
»Ich bleibe noch da und überprüfe die Abfalleimer«, sagt Lieutenant Ethridge zu Shaftoe. »Ich treffe Sie dann in einer Stunde auf dem Flugplatz.«
Shaftoe stellt sich eine Stunde mit dieser Ladung auf der Ladefläche eines heißen Lkw vor. »Soll ich ihn auf Eis legen, Sir?«
Darüber muss Ethridge eine Weile nachdenken. Er nuckelt an seinen Zähnen, sieht auf seine Uhr, gibt unbestimmte Laute von sich. Doch als er schließlich antwortet, klingt seine Stimme entschlossen. »Nein. Zur Erfüllung unseres Auftrags ist es zwingend erforderlich, dass wir ihn jetzt in aufgetauten Zustand bringen.«
PFC Gerald Hott und sein mit Fleisch beladener Sarg nehmen die Mitte der Ladefläche ein. Die Marines sitzen seitlich davon, aufgereiht wie Sargträger. Shaftoe ertappt sich dabei, dass er über das Gemetzel hinweg in Enoch Roots Gesicht starrt, das einen Ausdruck bemühter Nonchalance
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