Cryptonomicon
sie dann eine Weile stehen lassen und Freiübungen machen, um sich wieder aufzuwärmen. Er hat seine Uniform gegen Kleidungsstücke aus warmer qwghlmianischer Wolle eingetauscht. Von Zeit zu Zeit, in völlig unvorhersagbaren Abständen, überfallen ihn Angehörige des Schlosspersonals mit einer Schüssel Suppe, einem Teeservice, oder einfach nur um festzustellen, wie es ihm geht, und ihm zu sagen, was für ein prächtiger Bursche er ist. Einmal am Tag schreibt er einen Haufen Kauderwelsch nieder – seine angeblichen Resultate – und übermittelt ihn an den Flottenstützpunkt.
Er teilt seine Zeit zwischen dem Nachdenken über Sex und dem Nachdenken über Mathematik auf. Ersteres greift ständig auf Letzteres über. Es wird schlimmer, als die stämmige, um die fünfzig Jahre alte Köchin namens Blanche, die ihm die Mahlzeiten bringt, an Wassersucht, Wechselfieber, Gicht, Kolik oder sonst irgendeinem shakespeareschen Leiden erkrankt und von Margaret abgelöst wird, die um die zwanzig und ziemlich einnehmend ist.
Margaret bringt ihn völlig durcheinander. Als das Ganze wirklich unerträglich wird, geht er auf die Latrine (damit das Personal ihn nicht im unrechten Moment überrascht) und nimmt eine manuelle Übersteuerung vor. Eines freilich hat er auf Hawaii gelernt, nämlich dass eine manuelle Übersteuerung leider nicht das Gleiche ist, wie wenn man es richtig macht. Der Effekt lässt zu rasch nach.
Während er darauf wartet, dass der Effekt nachlässt, erledigt er eine Menge solide Mathematik. Alan hat ihm ein paar Aufzeichnungen über Redundanz und Entropie zukommen lassen, die mit der Arbeit an der Stimmenverschlüsselung zusammenhängen, mit der er sich derzeit in New York beschäftigt. Waterhouse arbeitet den Kram durch und kommt auf ein paar hübsche Lemmata, die er Alan bedauerlicherweise nicht schicken kann, ohne sowohl gegen den gesunden Menschenverstand als auch gegen jede Menge Sicherheitsvorschriften zu verstoßen. Dies getan, wendet er seine Aufmerksamkeit der Kryptologie in ihrer Rein- und Rohform zu. Er hat genügend Zeit in Bletchley Park zugebracht, um sich darüber im Klaren zu sein, wie wenig er eigentlich von dieser Kunst versteht.
Die Unterseeboote funken viel zu viel und jedermann bei der deutschen Marine weiß das. Die Sicherheitsexperten haben ihre Vorgesetzten schon seit längerer Zeit gedrängt, die Sicherheitsmaßnahmen zu verschärfen, und das ist schließlich durch Einführung der vierwalzigen Enigma-Maschine geschehen, von der Bletchley Park ungefähr ein Jahr lang völlig geplättet war...
Margaret muss im Freien um das Schloss herum gehen, um Waterhouse seine Mahlzeiten zu bringen, und bis sie da ist, sind ihre Wangen rosig angehaucht. Die aus ihrem Mund kommenden Atemwölkchen umschweben ihr Gesicht wie ein Seidenschleier -
Schluss jetzt, Lawrence! Thema der heutigen Vorlesung ist die vierwalzige Enigma der deutschen Kriegsmarine, die bei den Deutschen unter Triton und bei den Alliierten unter Shark firmiert. Sie wurde am 2. Februar vergangenen Jahres (1942) eingeführt, und erst die Bergung des gestrandeten deutschen Unterseebootes U-559 am 30. Oktober hat Bletchley Park das Material verschafft, das man dort brauchte, um den Code zu knacken. Vor ein paar Wochen, am 13. Dezember, hat Bletchley Park schließlich Shark entschlüsselt, sodass der interne Funkverkehr der deutschen Kriegsmarine für die Alliierten abermals zum offenen Buch wurde.
Als Erstes hat man so erfahren, dass die Deutschen die Codes der alliierten Handelsmarinen geknackt und das ganze Jahr über genau gewusst haben, wo die Geleitzüge zu finden waren.
Alle diese Informationen sind Lawrence Pritchard Waterhouse in den letzten Tagen über den vollkommen sicheren Einmalblock-Kanal zugegangen. Bletchley erzählt ihm das alles, weil es eine Frage der Informationstheorie aufwirft, die sein Zuständigkeitsbereich und sein Problem ist. Die Frage lautet: Wie rasch können wir unsere geknackten Handelsmarine-Codes ersetzen, ohne die Deutschen mit der Nase darauf zu stoßen, dass wir Shark geknackt haben?
Waterhouse muss nicht sehr lange darüber nachdenken, um zu dem Schluss zu kommen, dass die Sache viel zu heikel ist, um irgendwelche Spielchen zu spielen. Die einzige Methode, mit der Situation fertig zu werden, besteht darin, irgendeinen Vorfall zu inszenieren, der den Deutschen erklärt, warum die Alliierten jegliches Vertrauen in ihre Handelsmarine-Codes verloren haben und sie ändern. Er verfasst eine Mitteilung
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