Cryptonomicon
Benutzeridentität habe«, beginnt John, der langsam wieder an Sicherheit gewinnt. »Woher weiß der Computer, dass Sie Sie sind? Kennwörter sind zu leicht zu erraten, zu stehlen oder zu vergessen. Der Computer muss etwas von Ihnen wissen, was so einzigartig an Ihnen ist wie Ihr Fingerabdruck. Im Grunde muss er einen Teil Ihres Körpers wie die Blutgefäße Ihrer Netzhaut oder den unverwechselbaren Klang Ihrer Stimme aufnehmen und mit zuvor gespeicherten, ihm bekannten Werten vergleichen. Diese Technologie nennt man Biometrik. Epiphyte Corp. hat einen der weltweit führenden Biometrikspezialisten in ihren Reihen: Dr. Eberhard Föhr, Urheber eines Handschriftenerkennungssystems, das als das beste der Welt gilt.« Doch mit dieser Lobrede hält John sich nicht lange auf. Eb und alle anderen im Raum scheint sie eher zu langweilen – Ebs Lebenslauf ist allen bekannt. »Hier und heute arbeiten wir mit Spracherkennung, aber der Code ist vollkommen modular, sodass wir ohne weiteres zu irgendeinem anderen System, etwa der Handgeometrieerkennung, übergehen könnten. Das bleibt dem Kunden überlassen.«
John lässt die Demo weiterlaufen, und im Gegensatz zu den meisten anderen funktioniert sie tatsächlich, ohne abzustürzen. Er versucht sogar, sie auszutricksen, indem er mit einem ziemlich guten tragbaren Digitalrekorder seine eigene Stimme aufnimmt und dann abspielt. Aber das Programm lässt sich nicht in die Irre führen. Das macht sogar Eindruck auf die Chinesen, die bis zu diesem Zeitpunkt wie der Inhalt von Madame Tussauds Müllcontainer nach einer Ausstellung über die Kulturrevolution ausgesehen haben.
Nicht alle machen es ihm so schwer. Harvard Li ist ein begeisterter Cantrell-Fan und das philippinische Schwergewicht sieht aus, als würde es lieber heute als morgen seine Geldreserven in der Krypta deponieren.
Mittagspause! Die Türen schwingen auf und geben den Blick frei auf einen Speisesaal mit einem Büffet entlang der hinteren Wand, auf dem es nach Curry, Knoblauch, Cayennepfeffer und Bergamotte duftet. Der Dentist besteht darauf, am selben Tisch Platz zu nehmen wie Epiphyte Corp., sagt aber nicht viel – sitzt bloß da mit einem furchtbar cholerischen Ausdruck im Gesicht, starrt vor sich hin und kaut und denkt. Als Avi ihn schließlich fragt, was er denkt, sagt Kepler ruhig: »Es war informativ.«
Wie epileptisch zucken die Drei Grazien zusammen. »Informativ« ist im Lexikon des Dentisten offenbar ein ausgesprochen schlimmes Wort. Es bedeutet, dass Kepler bei diesem Meeting manches gelernt hat, was wiederum heißt, das er vorher noch nicht absolut alles wusste, und das kommt auf seiner Werteskala sicher einem unverzeihlichen Mangel an Intelligenz gleich.
Es herrscht quälende Stille. Dann sagt Kepler: »Aber nicht uninteressant.«
Tiefe Seufzer der Erleichterung umfächeln die blendend weißen, plaquefreien Zähne der Hygienikerinnen. Randy versucht, sich vorzustellen, was schlimmer ist: dass Kepler glaubt, man habe ihm Sand in die Augen gestreut, oder dass er hier schon wieder eine neue Gelegenheit wittert. Was ist unheimlicher, die Paranoia oder die Habgier des Dentisten? Das werden sie schon noch herausfinden. Randy mit seinem dämlichen, romantischen Instinkt für Schmeicheleien hätte fast gesagt: » Für uns war es auch informativ!«, hält sich aber zurück, als er merkt, dass Avi nichts dergleichen gesagt hat. Eine solche Bemerkung würde den Shareholder Value nicht steigern. Am besten hielten sie ihre Karten gut zusammen und ließen Kepler darüber im Unklaren, ob Epiphyte Corp. die tatsächliche Tagesordnung gekannt hatte oder nicht.
Randy hat seinen Platz aus taktischen Gründen so gewählt, dass er direkt durch die Tür in den Konferenzraum schauen und ein Auge auf seinen Laptop haben kann. Die Mitglieder der verschiedenen Delegationen entschuldigen sich einer nach dem anderen, gehen hinüber und lassen die Demo laufen; dabei sprechen sie ihre eigene Stimme auf den Speicher des Computers und lassen sie von ihm erkennen. Einige dieser Idioten tippen sogar Befehle auf Randys Tastatur, vermutlich den ps-Befehl, diese Schnüffler. Obwohl Randy das Ganze so eingerichtet hat, dass man nicht allzu viel daran herumpfuschen kann, ärgert es ihn zutiefst, die Fingerspitzen dieser Fremden munter auf seine Tastatur einhämmern zu sehen.
Die ganze Nachmittagssitzung über, in der es ausschließlich um die Kommunikationsverbindungen zwischen Kinakuta und dem Rest der Welt geht, nagt es an ihm.
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