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Cryptonomicon

Cryptonomicon

Titel: Cryptonomicon Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Neal Stephenson
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er jeden Moment eine weitere Belobigung für Verschlagenheit aussprechen. Während Randy noch grinst, spürt er den Blick eines anderen auf sich. Er dreht sich um und schaut Prag, dessen Miene unergründlich ist, seine Stinkwut aber nicht ganz verbirgt, direkt in die Augen. Viele Leute in diesem Teil der Welt würden unter dem vernichtenden Blick von Dr. Mohammed Pragasu zu Kreuze kriechen, aber Randy sieht nur seinen alten Freund, den Pizza essenden Hacker.
    Und so starrt Randy einfach zurück in Prags schwarze Augen und grinst.
    Prag erwartet, dass der andere wegschaut. Du hast meinen Deutschen ausgetrickst, du Arschloch – dafür wirst du sterben! Aber er hält selbst nicht durch. Er bricht den Blickkontakt ab, dreht sich um und hebt eine Hand an den Mund, als wolle er sich über seinen Spitzbart streichen. In Kalifornien ist der Ironievirus genauso verbreitet wie Herpes, und wenn man erst einmal damit infiziert ist, setzt er sich für immer im Gehirn fest. Ein Mann wie Prag kann nach Hause zurückkehren, seine Nikes in die Ecke schmeißen und fünfmal am Tag gen Mekka beten, den wird er nie wieder los.
    Die Tour dauert ein paar Stunden. Als sie ans Tageslicht kommen, ist die Temperatur auf das Doppelte gestiegen. Kaum haben sie das Funkloch der Höhle verlassen, gehen zwei Dutzend Handys und Piepser los. Avi führt ein kurzes, abgehacktes Gespräch mit jemandem, beendet die Verbindung und treibt die Epiphyte Corp. zu ihrem Auto. »Kleine Änderung unserer Pläne«, sagt er. »Wir müssen uns für ein kurzes Meeting absetzen.« Dem Fahrer raunt er einen unbekannten Namen zu.
    Zwanzig Minuten später marschieren sie, eingezwängt zwischen zwei Busladungen älterer Trauernder, hintereinander her auf den japanischen Friedhof.
    »Interessanter Ort für ein Meeting«, sagt Eberhard Föhr.
    »In Anbetracht der Leute, mit denen wir es zu tun haben, müssen wir davon ausgehen, dass unsere Zimmer, das Auto und das Hotelrestaurant verwanzt sind«, faucht Avi. Eine Minute lang sagt niemand etwas, während Avi sie einen Kiesweg entlang zu einem abgeschiedenen Winkel des Gartens führt.
    Schließlich befinden sie sich in einer von zwei hohen Steinmauern gebildeten Ecke. Bambussträucher schirmen sie vom Rest des Gartens ab und rascheln angenehm in der Meeresbrise, die ihre erhitzten Gesichter jedoch kaum zu kühlen vermag. Beryl fächelt sich mit einer Straßenkarte von Kinakuta Luft zu.
    »Hab gerade einen Anruf von Annie-in-San-Francisco bekommen«, sagt er.
    Annie-in-San-Francisco ist ihre Anwältin.
    »Dort ist es jetzt gerade, äh... neunzehn Uhr. Wie es scheint, ist unmittelbar vor Feierabend direkt vom Flugzeug aus LA ein Kurier in ihr Büro gekommen und hat ihr einen Brief vom Büro des Dentisten übergeben.«
    »Er verklagt uns wegen irgendwas«, sagt Beryl.
    »Er ist kurz davor, uns zu verklagen.«
    »Weswegen?«, ruft Tom Howard.
    Avi seufzt. »Im Grunde genommen ist das irrelevant, Tom. Wenn Kepler meint, es läge in seinem Interesse, uns aus taktischen Erwägungen zu verklagen, wird er einen Vorwand finden. Wir dürfen nicht vergessen, dass es hier nicht um legitime rechtliche Interessen, sondern nur um taktische Überlegungen geht.«
    »Vertragsbruch, stimmt’s?« sagt Randy.
    Alle Blicke richten sich auf ihn. »Weißt du etwas, was wir auch wissen sollten?«, fragt John Cantrell.
    »Nur eine wohl begründete Vermutung«, sagt Randy und schüttelt den Kopf. »Unser Vertrag mit ihm sieht vor, dass wir ihn über jegliche Veränderung der Rahmenbedingungen, die das Geschäftsklima grundlegend verändern könnte, zu informieren haben.«
    »Das ist eine schrecklich vage Formulierung«, sagt Beryl vorwurfsvoll.
    »Ich gebe sie hier sinngemäß wieder.«
    »Randy hat Recht«, sagt Avi. »Der Tenor des Briefes lautet, dass wir dem Dentisten hätten sagen müssen, was in Kinakuta läuft.«
    »Das haben wir doch gar nicht gewusst«, sagt Eb.
    »Spielt keine Rolle – vergiss nicht, es ist eine taktische Klage.«
    »Was will er denn?«
    »Uns erschrecken«, sagt Avi. »Uns nervös machen. Morgen oder übermorgen bringt er vielleicht einen anderen Anwalt ins Spiel, um auf Schmusekurs zu gehen – und uns irgendein Angebot zu machen.«
    »Was für ein Angebot?«, fragt Tom.
    »Das wissen wir natürlich nicht«, sagt Avi, »aber ich vermute, dass Kepler ein Stück von uns haben will. Er will einen Teil der Firma besitzen.«
    Es dämmert auf allen Gesichtern außer auf Avis, der seine nahezu unveränderliche Maske nüchterner

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