Cryptonomicon
Südkurs zu nehmen und den Geleitzug auf der und der Position anzugreifen? P.S. Bitte fassen Sie sich kurz.
Bischoff: Eigentlich könnte ich Urlaub gebrauchen, aber gut, was soll’s.
Bischoff (eine Woche später): Habe ungefähr die Hälfte dieses Geleitzuges für Sie absaufen lassen. Musste auftauchen und einen besonders penetranten Zerstörer mit der Bordkanone angreifen. Das war so absolut selbstmörderisch, dass sie nicht damit gerechnet haben. Infolgedessen haben wir sie in Stücke geschossen. Höchste Zeit für einen schönen Urlaub.
Dönitz: Sie sind jetzt offiziell der größte Unterseeboot-Kommandant aller Zeiten. Kehren Sie zu wohlverdienter Ruhe und Erholung nach Lorient zurück.
Bischoff: Eigentlich hatte ich an einen Urlaub in der Karibik gedacht. Lorient ist zu dieser Jahreszeit kalt und öde.
Dönitz: Wir haben seit zwei Tagen nichts von Ihnen gehört. Bitte berichten Sie.
Bischoff: Haben einen hübschen abgelegenen Hafen mit weißem Sandstrand gefunden. Möchte genaue Position lieber nicht angeben, da ich Sicherheit von Enigma nicht mehr traue. Prima Angelgewässer. Werde langsam braun. Fühle mich etwas besser. Mannschaft ist überaus dankbar.
Dönitz: Günter, ich lasse Ihnen vieles durchgehen, aber selbst der Oberbefehlshaber muss sich seinen Vorgesetzten gegenüber verantworten. Bitte lassen Sie diesen Unsinn und kehren Sie nach Hause zurück.
U-691: Hier ist Oberleutnant zur See Karl Beck, stellvertretender Kommandant von U-691. Muss Sie zu meinem Bedauern davon unterrichten, dass KL Bischoff erkrankt ist. Erbitte Befehle. P.S. Er weiß nicht, dass ich diesen Funkspruch absetze.
Dönitz: Übernehmen Sie Kommando. Kehren Sie nicht nach Lorient, sondern nach Wilhelmshaven zurück. Kümmern Sie sich um Günter.
Beck: KL Bischoff weigert sich, Kommando abzugeben.
Dönitz: Sedieren Sie ihn und schaffen Sie ihn hierher zurück, er wird nicht bestraft.
Beck: Danke Ihnen in meinem und im Namen der Mannschaft.Wir sind unterwegs, aber knapp an Treibstoff.
Dönitz:Treffen Sie sich mit U-413 [eine Milchkuh] auf der und der Position.
Noch mehr Menschen betreten den Raum: ein verhutzelter Rabbi; Dr. Alan Mathison Turing; ein massiger Mann in einem Tweedanzug in Fischgrätmuster, den Waterhouse vage als Oxford-Dozenten in Erinnerung hat; und ein paar von den Marineaufklärern, die ständig in Baracke 4 herumlungern. Chattan eröffnet die Sitzung und stellt einen der jüngeren Männer vor, der aufsteht und einen Lagebericht gibt.
»U-691, ein Unterseeboot vom Typ IXD/42, nominell unter dem Befehl von Kapitänleutnant Günter Bischoff, nun aber unter dem Befehl seines Stellvertreters, Oberleutnant zur See Karl Beck, hat um 20 Uhr Greenwich-Zeit einen Enigma-Funkspruch an das Unterseeboot-Kommando abgesetzt. Darin heißt es, U-691 habe drei Stunden nach Versenkung eines Handelsschiffes aus Trinidad ein Unterseeboot der Royal Navy, das Überlebende aufgefischt habe, torpediert und versenkt. Beck hat zwei unserer Leute gefangengenommen: Marine Sergeant Robert Shaftoe, ein Amerikaner, und Lieutenant Enoch Root, ANZAC.«
»Wie viel wissen diese Männer?« erkundigt sich der Dozent, der eine herzbewegend offensichtliche Anstrengung macht, nüchtern zu werden.
Chattan beantwortet die Frage ausweichend: »Wenn Root und Shaftoe alles preisgäben, was sie wissen, könnten die Deutschen zu dem Schluss kommen, dass wir uns nach Kräften bemühen, die Existenz einer äußerst wertvollen und ergiebigen Nachrichtenquelle zu kaschieren.«
»Teufel auch«, murmelt der Dozent.
Ein extrem hoch gewachsener, schlaksiger, blonder Zivilist, Kreuzworträtsel-Redakteur einer der Londoner Zeitungen und derzeit an Bletchley Park ausgeliehen, kommt ins Zimmer geeilt und entschuldigt sich für sein Zuspätkommen. Nun sind mehr als die Hälfte der Leute auf der Ultra-Mega-Liste hier versammelt.
Der junge Marine-Auswerter fährt fort. »Um 21 Uhr 10 hat Wilhelmshaven mit einem Funkspruch geantwortet, der OL Beck anwies, die Gefangenen unverzüglich zu verhören. Um 1 Uhr 50 hat Beck geantwortet, die Gefangenen gehörten seiner Ansicht nach irgendeiner Spezialeinheit der Marineaufklärung an.«
Während er spricht, werden Klartext-Durchschläge der neuen Funksprüche an sämtlichen Tischen herumgereicht. Der Kreuzworträtsel-Redakteur studiert seine Blätter mit schwer gefurchter Stirn. »Vielleicht haben Sie das ja schon vor meiner Ankunft behandelt – falls es so ist, bitte ich um Entschuldigung«, sagt er. »Aber
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