Cryptonomicon
Angehörige von Bischoffs Mannschaft, die ein klein wenig Englisch sprechen, in Hörweite herumzulungern beginnen. Im Wesentlichen läuft die Geschichte an dieser Stelle völlig aus dem Ruder und scheint, obwohl hochgradig unterhaltsam, nirgendwohin zu führen. Bischoff unterbricht schließlich mit einem: »Und was war mit dem Burschen mit dem kaputten Bein?« Shaftoe runzelt die Stirn und beißt sich auf die Lippe. »Ach ja, richtig«, sagt er schließlich, »der ist gestorben.«
»Der Stein an der Schnur«, souffliert Enoch Root. »Wissen Sie noch? Deswegen haben Sie die Geschichte überhaupt erzählt.«
»Ach ja, richtig«, sagt Shaftoe, »die haben uns mit einem kleinen Unterseeboot abgeholt. So sind wir nach Qwghlm gekommen und haben das Unterseeboot mit dem Gold gesehen. Aber bevor sie in den Hafen reinkonnten, brauchten sie eine Karte. Also sind Lieutenant Root und ich mit einer Schnur und einem Stein in einem Ruderboot rausgeschippert und haben das Ding ausgemessen.«
»Und von dieser Karte haben Sie noch immer eine Kopie bei sich?«, fragt Bischoff skeptisch.
»Nee«, sagt Shaftoe mit einer schnodderigen Gelassenheit, die bei einem weniger charismatischen Mann zum Wahnsinnigwerden wäre. »Aber der Lieutenant hat sie sich gemerkt. Sich Zahlen merken, das kann er richtig gut. Stimmt’s, Sir?«
Enoch zuckt bescheiden die Achseln. »Wo ich groß geworden bin, war das Auswendiglernen der Ziffern von pi noch das Unterhaltsamste, was wir hatten.«
Kannibalen
Goto Dengo flüchtet durch den Sumpf. Er ist sich ziemlich sicher, dass er von den Kannibalen gejagt wird, die gerade seinen Freund gekocht haben, mit dem er an Land geschwemmt worden ist. Er klettert an einem Lianengewirr hinauf und versteckt sich mehrere Meter über dem Boden; Männer mit Speeren suchen das Gebiet ab, aber sie finden ihn nicht.
Er verliert das Bewusstsein. Als er wieder zu sich kommt, ist es dunkel und in den Ästen nahebei bewegt sich ein kleines Tier. Er giert so verzweifelt nach Essen, dass er blindlings danach grabscht. Der Körper des Geschöpfs ist so groß wie der einer Hauskatze, aber es hat lange, ledrige Flügel: irgendeine Art von Riesenfledermaus. Sie beißt ihn mehrmals in die Hände, ehe er sie zu Tode quetschen kann. Dann isst er sie roh.
Am nächsten Tag dringt er tiefer in den Sumpf vor, um sich weiter von den Kannibalen abzusetzen. Gegen Mittag stößt er auf einen Bach – den ersten, den er hier zu Gesicht bekommt. Zum größten Teil läuft das Wasser einfach durch Sümpfe aus Neuguinea ab, doch hier ist ein richtiges Flüsschen mit kaltem, frischem Wasser, gerade so schmal, dass er es überspringen kann.
Ein paar Stunden später stößt er auf ein weiteres Dorf, das dem ersten ähnelt, aber nur ungefähr halb so groß ist. Die Anzahl der aufgehängten Köpfe ist viel kleiner. Vielleicht sind die Kopfjäger hier nicht ganz so Furcht erregend wie die erste Gruppe. Auch hier gibt es eine zentrale Feuerstelle, auf der in einem Topf weißes Zeug kocht: In diesem Falle scheint es sich um einen Wok zu handeln, an den sie durch Tauschhandel gekommen sein müssen. Die Dorfbewohner wissen nicht, dass in unmittelbarer Nähe ein hungernder japanischer Soldat lauert, und sind daher nicht sonderlich wachsam. Mit der Abenddämmerung, als die Stechmücken in summenden Wolken aus den Sümpfen kommen, ziehen sie sich allesamt in ihre Langhäuser zurück. Goto Dengo stürmt in die Mitte der Siedlung, schnappt sich den Wok und verschwindet damit. Er zwingt sich dazu, nichts zu essen, bis er weit weg und erneut auf einem Baum versteckt ist, dann schlägt er sich voll. Das Essen ist ein gummiartiges Gel, allem Anschein nach reine Stärke. Selbst für einen Heißhungrigen besitzt es keinerlei Geschmack. Trotzdem leckt er den Wok sauber. Während er das tut, kommt ihm eine Idee.
Am nächsten Morgen, als der Sonnenball aus dem Meer bricht, kniet Goto Dengo im Flussbett, schöpft Sand in den Wok und wirbelt ihn herum, hypnotisiert von dem Mahlstrom aus Schmutz und Schaum, der langsam eine glitzernde Mitte ausbildet.
Einen Tag später steht Goto Dengo in aller Herrgottsfrühe am Rand des Dorfes und brüllt: » Ulab! Ulab! Ulab!«, das Wort, mit dem die Leute in dem ersten Dorf Gold bezeichneten.
Die Dorfbewohner winden sich, zunächst verwirrt, durch ihre winzigen Eingangstüren nach draußen, doch als sie sein Gesicht und den an einer Hand baumelnden Wok sehen, bricht Zorn aus ihnen hervor wie die Sonne aus einer Wolke. Ein Mann
Weitere Kostenlose Bücher