Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Cryptonomicon

Cryptonomicon

Titel: Cryptonomicon Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Neal Stephenson
Vom Netzwerk:
kommt mit erhobenem Speer über die Lichtung auf ihn zugestürmt. Goto Dengo tänzelt zurück und nimmt halb hinter einer Kokospalme Deckung, wobei er sich den Wok wie einen Schild vor die Brust hält. » Ulab! Ulab!«, ruft er erneut. Der Krieger zögert. Goto Dengo streckt die geballte Faust aus, schwingt sie hin und her, bis sie auf einen warmen Sonnenstrahl trifft, und öffnet sie dann leicht. Eine winzige Kaskade glitzernder Flöckchen rieselt daraus hervor, fängt das Sonnenlicht ein und drippelt mit leisem Rauschen auf die unten im Schatten liegenden Blätter.
    Das erregt ihre Aufmerksamkeit. Der Mann mit dem Speer bleibt stehen. Irgendjemand hinter ihm sagt etwas von wegen patah.
    Goto Dengo senkt den Wok, legt ihn sich in die Armbeuge und lässt die ganze Hand voll Goldstaub hineinrieseln. Das Dorf schaut wie gebannt zu. Nun gibt es ein großes Geraune von wegen patah. Er tritt, den Wok als Gabe für den Krieger vor sich hin haltend, auf die Lichtung, lässt sie seine Nacktheit und seinen erbärmlichen Zustand sehen. Schließlich sinkt er auf die Knie, beugt ganz langsam den Kopf und stellt dem Krieger den Wok zu Füßen. So, mit gebeugtem Kopf, verharrt er und gibt damit zu erkennen, dass sie ihn jetzt töten können, wenn sie wollen.
    Womit sie allerdings auch ihre neu entdeckte Goldquelle verstopfen würden.
    Die Sache erfordert eine Diskussion. Sie schnüren ihm die Ellbogen mit Lianen hinter dem Rücken zusammen, legen ihm eine Schlinge um den Hals und binden diese an einen Baum. Sämtliche Kinder des Dorfes stehen um ihn herum und glotzen. Sie haben dunkelviolette Haut und krauses Haar. Fliegen umschwärmen ihre Köpfe.
    Der Wok wird in eine Hütte gebracht, die mit mehr Menschenköpfen geschmückt ist als alle anderen. Sämtliche Männer gehen hinein. Es folgt eine hitzige Diskussion.
    Eine schlammbeschmierte Frau mit langen, dürren Brüsten bringt Goto Dengo eine halbe Schale Kokosmilch und eine Hand voll weiße, knöchelgroße Larven, die in Blätter gewickelt sind. Ihre Haut ist ein Gewirr einander überlappender Scherpilzflechtennarben und sie trägt eine Halskette, die aus einem Menschenfinger an einem Stück Bindfaden besteht. Die Larven spritzen, als Goto Dengo darauf beißt.
    Die Kinder verlassen ihn, um zuzusehen, wie draußen über dem Ozean zwei amerikanische P-38 vorbeifliegen. Von Flugzeugen gelangweilt, geht Goto Dengo in die Hocke und beobachtet die Menagerie von Arthropoden, die auf ihm zusammengeströmt sind in der Hoffnung, sein Blut saugen, einen Bissen von seinem Fleisch nehmen, ihm die Augäpfel aus dem Schädel fressen oder ihn mit ihren Eiern schwängern zu können. Die hockende Stellung ist günstig, weil er etwa alle fünf Sekunden das Gesicht zuerst gegen das eine, dann gegen das andere Knie schlagen muss, um die Insekten aus seinen Augen und Nasenlöchern herauszuhalten. Ein Vogel stürzt aus einem Baum, landet unbeholfen auf Goto Dengos Kopf, pickt ihm etwas aus dem Haar und fliegt davon. Blut schießt ihm aus dem After und sammelt sich als warme Pfütze unter dem Spann seiner Füße. Am Rand der Pfütze sammeln sich Geschöpfe mit vielen Füßen und tun sich daran gütlich. Goto Dengo schiebt sich ein Stück weit weg, überlässt sie ihrem Mahl, gewinnt ein paar Minuten Ruhe.
    Die Männer in der Hütte gelangen zu irgendeiner Art von Übereinkunft. Die Spannung lässt nach. Man hört sogar Gelächter. Er fragt sich, was bei diesen Kerlen als komisch gilt.
    Der Kerl, der ihn vorhin aufspießen wollte, kommt über die Lichtung, nimmt Goto Dengos Leine und zerrt ihn damit auf die Füße. » Patah«, sagt er.
    Goto Dengo blickt zum Himmel auf. Es wird allmählich spät, aber der Gedanke, ihnen zu erklären, dass sie sich einfach bis morgen gedulden sollen, behagt ihm überhaupt nicht. Er stolpert über die Lichtung zur Kochstelle und macht eine Kopfbewegung zu einem Topf voller Hirnragout hin. »Wok«, sagt er.
    Es funktioniert nicht. Sie denken, dass er Gold für den Wok eintauschen will.
    Es folgen zirka achtzehn Stunden voller Missverständnisse und gescheiterter Kommunikationsversuche. Goto Dengo stirbt beinahe; zumindest fühlt er sich, als wäre das ohne weiteres möglich. Jetzt, da er nicht mehr unterwegs ist, holen ihn die vergangenen Tage mit Macht ein. Doch schließlich, am späten Vormittag des nächsten Tages, kommt er dazu, seinen Zauber vorzuführen. Im nahe gelegenen Bach hockend, die Fesseln um seine Ellbogen gelöst, den Wok in den Händen, umringt von

Weitere Kostenlose Bücher