Cryptonomicon
skeptischen Dorfvätern, die noch immer die um seinen Hals geschlungene Liane festhalten, beginnt er, Gold zu waschen. Binnen weniger Minuten hat er dem Flussbett ein paar Körnchen von dem Zeug abgewonnen und so das Grundkonzept demonstriert.
Sie wollen es selbst lernen. Damit hat er gerechnet. Er versucht, es einem von ihnen beizubringen, aber es gehört (wie Goto Dengo selbst vor langer Zeit gelernt hat) zu den Dingen, die schwieriger sind, als sie aussehen.
Zurück ins Dorf. In dieser Nacht bekommt er sogar einen Schlafplatz. Sie stopfen ihn in einen langen, schmalen Sack aus geflochtenem Gras, den sie über seinem Kopf zubinden – auf diese Weise verhindern sie, dass sie im Schlaf bei lebendigem Leibe von Insekten gefressen werden. Jetzt erwischt ihn die Malaria. Abwechselnd überschwemmen ihn Frost- und Hitzewellen mit der Gewalt von Rippströmen.
Eine Zeit lang verliert er jedes Zeitgefühl. Später geht ihm auf, dass er schon eine ganze Weile hier sein muss, denn sein gebrochener Zeigefinger ist mittlerweile krumm verwachsen und die Abschürfungen, die er von den Korallen davongetragen hat, sind zu einer Schraffur dünner, paralleler Narben verheilt, wie die Maserung eines Holzstücks. Seine Haut ist mit Schlamm beschmiert und er riecht nach Kokosnussöl und nach dem Rauch, mit dem sie ihre Hütten füllen, um das Ungeziefer zu vertreiben. Sein Leben ist einfach: Wenn die Malaria ihn an den Rand des Todes bringt, sitzt er vor einer gefällten Palme und schnitzelt stundenlang sinnlos daran herum, sodass langsam ein Haufen faseriges weißes Zeug entsteht, aus dem die Frauen Stärke machen.Wenn er sich kräftiger fühlt, schleppt er sich zum Fluss hinüber und wäscht Gold. Als Gegenleistung tun sie ihr Bestes, um zu verhindern, dass Neuguinea ihn umbringt. Er ist so schwach, dass sie nicht einmal mehr einen Aufpasser mitschicken, wenn er weggeht.
Es wäre ein tropisches Idyll, wenn die Malaria, die Insekten, der ständige Durchfall und die daraus resultierenden Hämorrhoiden sowie die Tatsache nicht wären, dass die Leute schmutzig sind, schlecht riechen, einander fressen und Menschenköpfe als Wandschmuck verwenden. Das Einzige, worüber Goto Dengo nachdenkt, wenn er überhaupt denken kann, ist, dass es hier einen Jungen gibt, der so aussieht, als wäre er ungefähr zwölf Jahre alt. Er erinnert sich an den Zwölfjährigen, dessen Initiation darin bestand, dass er Goto Dengos Gefährten einen Speer durchs Herz trieb, und er fragt sich, wer wohl für den Initiationsritus des Jungen hier verwendet werden wird.
Von Zeit zu Zeit hämmern die Dorfältesten eine Zeit lang auf einen ausgehöhlten Baumstamm, um dann herumzustehen und dem entsprechenden Gehämmer aus anderen Dörfern zu lauschen. Eines Tages dauert dieses Gehämmer besonders lang und es hat den Anschein, als freuten sich die Dorfbewohner über das Gehörte. Am nächsten Tag bekommen sie Besuch: vier Männer und ein Kind, die eine völlig andere Sprache sprechen; ihr Wort für Gold ist gabitisa. Das Kind, das sie mitgebracht haben, ist ungefähr sechs Jahre alt und offensichtlich zurückgeblieben. Es folgt eine Verhandlung. Ein Teil des Goldes, das Goto Dengo aus dem Bach gewaschen hat, wird gegen das zurückgebliebene Kind eingetauscht. Die vier Besucher verschwinden mit ihrem gabitisa im Dschungel. Binnen weniger Stunden hat man das zurückgebliebene Kind an einen Baum gefesselt und der Zwöljährige hat es erstochen und ist zum Mann geworden. Nach einigem Herumstolzieren und Tanzen halten die älteren Männer den jüngeren fest und ritzen ihm lange, komplizierte Schnitte in die Haut, die sie mit Erde einreiben, damit sie als Schmucknarben abheilen.
Goto Dengo kann nicht viel anderes tun als in dumpfem Erstaunen zusehen. Jedes Mal, wenn er versucht, über die nächsten fünfzehn Minuten hinauszudenken, sich eine Vorgehensweise zurechtzulegen, kommt die Malaria zurück, setzt ihn für ein, zwei Wochen außer Gefecht und bringt sein Gehirn so durcheinander, dass er gezwungen ist, wieder ganz von vorn anzufangen.Trotz alledem schafft er es, ein paar hundert Gramm Goldstaub aus dem Bach zu gewinnen. Von Zeit zu Zeit wird das Dorf von relativ hellhäutigen Händlern aufgesucht, die in Ausleger-Booten die Küste auf und ab fahren und wieder eine ganze andere Sprache sprechen. Diese Händler kommen häufiger, als die Dorfältesten beginnen, den Goldstaub gegen Betelnüsse – die sie kauen, weil sie das in angeregte Stimmung bringt – und
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