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Cryptonomicon

Cryptonomicon

Titel: Cryptonomicon Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Neal Stephenson
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würde davon auseinander gerüttelt und das vom Dschungel mürbe Fleisch fiele ihm von den zitternden Knochen.
    Nachdem ein paar Tage verstrichen sind, bittet Goto Dengo um die Erlaubnis, die Bedienung des Nambu lernen zu dürfen. Die Antwort des Leutnants besteht darin, ihn zu verprügeln – obwohl er gar nicht die Kraft hat, jemanden richtig zu verprügeln -, also muss ihm Goto Dengo helfen, indem er aufschreit und sich zusammenkrümmt, wenn der Leutnant glaubt, er habe einen wirkungsvollen Schlag gelandet.
    Alle paar Tage, wenn die Sonne morgens aufgeht, ist dieser oder jener Soldat stärker mit Ungeziefer behaftet als alle anderen. Das bedeutet, dass er tot ist. Da es ihnen an Schaufeln und der Kraft zum Graben fehlt, lassen sie ihn einfach liegen, wo er liegt, und marschieren weiter. Manchmal verlaufen sie sich, marschieren noch einmal über dasselbe Gelände und finden die Leichen aufgebläht und schwarz wieder; wenn sie verwesendes Menschenfleisch riechen, wissen sie, dass die Anstrengung eines ganzen Tages umsonst war. Im Allgemeinen aber gewinnen sie jetzt an Höhe und es wird kühler.Vor ihnen liegt eine Kette schneebedeckter Gipfel, die ihnen den Weg versperrt und sich geradewegs bis ans Meer hinzieht. Den Karten des Leutnants zufolge müssen sie, um japanisch beherrschtes Gebiet zu erreichen, auf der einen Seite hinauf- und auf der anderen hinunterklettern.
    Vögel und Pflanzen sind hier oben anders. Eines Tages, als der Leutnant gerade gegen einen Baum uriniert, erzittert das Laubwerk und ein riesiger Vogel kommt daraus hervorgestürzt. Er ähnelt vage einem Strauß, ist aber gedrungener und bunter. Er hat einen roten Hals und einen kobaltblauen Kopf, aus dem oben, wie die Nase einer Artilleriegranate, ein gewaltiger, helmartiger Knochen hervorsteht. Er stakst direkt zu dem Leutnant hin, versetzt ihm ein paar Tritte, sodass der Leutnant der Länge nach hinschlägt, beugt dann den langen Hals herab, kreischt ihm ins Gesicht und läuft in den Dschungel zurück, wobei er den Schädelknochen wie eine Art Rammbock einsetzt, um eine Schneise durchs Unterholz zu bahnen.
    Selbst wenn die Männer nicht halbtot wären, wären sie viel zu verblüfft, um ihre Waffen zu heben und auf das Tier zu schießen. Sie lachen hysterisch. Goto Dengo lacht, bis er weint. Der Vogel muss allerdings ziemlich kräftig zugetreten haben, denn der Leutnant liegt nun schon ziemlich lange da und hält sich den Bauch.
    Schließlich gewinnt einer der Unteroffiziere die Fassung wieder und geht zu dem armen Mann hinüber, um ihm zu helfen. Als er näherkommt, dreht er sich plötzlich zum Rest der Gruppe um. Sein Gesicht ist fassungslos.
    Aus zwei tiefen Stichwunden im Bauch des Leutnants strömt Blut und sein Körper erschlafft bereits, als sich der Rest der Gruppe um ihn schart. Sie bleiben bei ihm sitzen, bis sie ziemlich sicher sind, dass er tot ist, dann marschieren sie weiter. Am selben Abend zeigt der Unteroffizier Goto Dengo, wie man das leichte Maschinengewehr zerlegt und reinigt.
    Sie sind nur noch neunzehn. Aber es scheint, als seien nun alle gestorben, denen es an diesem Ort bestimmt war, denn sie verlieren zwei, drei, fünf, sieben Tage lang keinen Mann mehr, und das trotz oder vielleicht auch wegen der Tatsache, dass sie in die Berge aufsteigen. Das ist eine brutale Strapaze, zumal für den schwer beladenen Goto Dengo. Aber die kalte Luft scheint ihre Dschungelfäule zu beseitigen und die gefräßigen inneren Feuer der Malaria zu ersticken.
    Eines Tages machen sie zeitig am Rand eines Schneefeldes Halt und der Unteroffizier befiehlt doppelte Rationen für alle. Über ihnen türmen sich schwarze Steingipfel mit einem eisigen Sattel dazwischen. Sie schlafen aneinander gekauert, was nicht verhindert, dass einige von ihnen mit erfrorenen Zehen erwachen. Sie essen den größten Teil ihrer noch verbliebenen Essensrationen und marschieren dann Richtung Pass.
    Der Pass erweist sich als beinahe enttäuschend leicht; der Anstieg ist so sanft, dass sie gar nicht richtig merken, dass sie den Gipfel erreicht haben, bis ihnen auffällt, dass der Schnee unter ihren Füßen abfällt. Sie sind über den Wolken, und die Wolken bedecken die Welt. Das sanfte Gefälle endet jäh am Rand einer Felswand, die mindestens dreihundert Meter fast senkrecht abstürzt – dann taucht sie in die Wolkenschicht ein, sodass ihre eigentliche Höhe nicht festzustellen ist. Sie finden die Andeutung eines Pfades, der das Gefälle quert. Er scheint häufiger

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