Cryptonomicon
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Verschwörung
Dr. Rudolf von Hacklheber ist nicht viel älter als Bobby Shaftoe, aber er zeigt trotz seiner tiefen Niedergeschlagenheit eine Haltung, die sich Männer in Shaftoes Welt, wenn überhaupt, erst in den Vierzigern aneignen. Seine Brille hat winzige, randlose Gläser, die so aussehen, als stammten sie aus dem ausgeschlachteten Zielfernrohr eines Scharfschützen. Dahinter ist eine bunte Vielfalt lebhafter Farben zu sehen: blonde Wimpern, blaue Augen, rote Äderchen, vom Weinen geschwollene und violett verfärbte Lider. Dennoch ist er perfekt rasiert, und das silbrige nordische Licht, das durch die winzigen Fenster von Enoch Roots Kirchenkeller hereinkommt, fängt sich auf eine Weise in den Konturen seines Gesichts, die das interessante Terrain aus groben Poren, vorzeitigen Falten und alten Mensurnarben besonders effektvoll zur Geltung bringt. Er hat versucht, sein Haar mit Brillantine zu bändigen, aber es zeigt sich störrisch und fällt ihm immer wieder in die Stirn. Er trägt ein weißes Hemd und darüber, zum Schutz gegen die Kälte im Keller, einen sehr langen, schweren Mantel. Shaftoe, der vor mehreren Tagen mit ihm nach Norrsbruck zurückgewandert ist, weiß, dass der langbeinige von Hacklheber das Zeug zu einem passablen Sportler hätte. Er weiß aber auch, dass raue Sportarten wie Football nicht in Frage kämen; dieser Kraut wäre eher Fechter, Bergsteiger oder Skifahrer.
Von Hacklhebers Homosexualität hat Shaftoe lediglich überrascht – nicht gestört. Bei einigen China-Marines in Schanghai lungerten sehr viel mehr Chinesenjungen in der Wohnung herum, als sie eigentlich zum Schuheputzen brauchten – und Schanghai ist bei weitem nicht der seltsamste oder entlegenste Ort, an dem sich Marines zwischen den Kriegen häuslich eingerichtet haben. Über die Moral kann man sich außer Dienst Gedanken machen, aber wenn man sich schon ständig über das aufregt und ärgert, was die anderen im Bett treiben, was fängt man dann erst an, wenn man Gelegenheit bekommt, einem Zug Nips mit einem Flammenwerfer heimzuleuchten?
Sie haben die sterblichen Überreste von Angelo, dem Piloten, vor zwei Wochen begraben und erst jetzt sieht sich von Hacklheber imstande zu reden. Er hat sich ein Cottage außerhalb der Stadt gemietet, doch an diesem Tag ist er nach Norrsbruck gekommen, um sich mit Root, Shaftoe und Bischoff zu treffen, zum Teil auch deshalb, weil er davon überzeugt ist, dass es von deutschen Spionen beobachtet wird. Shaftoe erscheint mit einer Flasche finnischem Schnaps, Bischoff bringt einen Laib Brot mit, Root spendiert eine Dose Fisch. Von Hacklheber bringt Informationen mit. Alle bringen Zigaretten mit.
Shaftoe raucht frühzeitig und viel, um den Schimmelgeruch des Kellers zu überdecken, der ihn daran erinnert, wie er mit Enoch Root hier eingesperrt war und sich das Morphium abgewöhnte. Einmal während dieser Zeit musste der Pastor herunterkommen und ihn bitten, eine Zeit lang nicht so zu schreien, weil er oben eine Trauung vornehmen wolle. Shaftoe war gar nicht bewusst gewesen, dass er schrie.
Rudolf von Hacklhebers Englisch ist in mancher Hinsicht besser als das von Shaftoe. Er klingt auf enervierende Weise wie Bobbys Zeichenlehrer auf der Junior High School, Mr. Jaeger. »Vor dem Krieg habe ich unter Dönitz für den Beobachtungsdienst der Kriegsmarine gearbeitet. Wir haben schon vor Ausbruch der Feindseligkeiten einige der wichtigsten Codes der britischen Admiralität geknackt. Ich war für einige Fortschritte auf diesem Gebiet verantwortlich, darunter auch für den Einsatz mechanischer Berechnungsmethoden. Als der Krieg ausbrach, kam es zu einer umfassenden Reorganisation und ich wurde so etwas wie ein Knochen, um den sich mehrere Hunde rauften. Ich wurde ins Referat IVa der Gruppe IV, Analytische Kryptoanalyse, versetzt, das zur Hauptgruppe B, Kryptoanalyse, gehörte, die Generalmajor Erich Fellgiebel, Chef der Wehrmachtsnachrichtenverbindungen, unterstellt war.«
Shaftoe wirft einen Blick in die Runde, aber keiner von den anderen lacht oder grinst auch nur. Sie müssen es überhört haben. »Wie war das noch mal?«, fragt Shaftoe ermunternd, wie ein Mann in einer Bar, der einen schüchternen Freund dazu zu bringen versucht, einen todsicheren Schenkelklopfer zu erzählen.
»Wehrmachtsnachrichtenverbindungen«, sagt von Hacklheber ganz langsam, als spräche er einem kleinen Jungen Kinderreime vor. Er blinzelt Shaftoe einmal, zweimal, dreimal an, beugt sich dann vor und sagt
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