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Cryptonomicon

Cryptonomicon

Titel: Cryptonomicon Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Neal Stephenson
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kommt dann eines Morgens verspätet zum Frühstück herunter und starrt aus atabringelben Augen um sich. Er stellt sich als Smith vor. Sein merkwürdig vertrauter Akzent ist dadurch, dass seine Zähne heftig klappern, nicht eben leichter zu verstehen. Es scheint ihn nicht sonderlich zu stören. Er nimmt Platz und krallt sich mit einer Hand, die steif und wund ist, eine Serviette aus irischem Leinen auf den Schoß. Mrs. McTeague macht ein derartiges Getue um ihn, dass sämtliche Männer am Tisch an sich halten müssen, um sie nicht zu schütteln. Sie gießt ihm Tee mit reichlich Milch und Zucker ein. Er nimmt ein paar Schlucke, entschuldigt sich dann und geht auf die Toilette, wo er sich kurz und höflich übergibt. Er kommt zurück, isst aus einem Eierbecher aus feinem Porzellan ein weich gekochtes Ei, läuft grün an, lehnt sich auf seinem Stuhl zurück und schließt für ungefähr zehn Minuten die Augen.
    Als Waterhouse an diesem Abend von der Arbeit zurückkommt, tappt er ins Wohnzimmer und stört Mrs. McTeague beim Teetrinken mit einer jungen Dame.
    Die junge Dame heißt Mary Smith; sie ist die Cousine von Waterhouses Zimmergenossen, der oben in seinem Etagenbett schlottert und schwitzt.
    Um sich vorstellen zu lassen, steht Mary auf, was streng genommen nicht nötig wäre; aber sie kommt aus dem Outback und kann mit geziertem Getue nichts anfangen. Sie ist eine grazile junge Frau in Uniform.
    Sie ist die einzige Frau, die Waterhouse je gesehen hat. Genau genommen ist sie der einzige andere Mensch im Universum, und als sie aufsteht, um ihm die Hand zu geben, verdunkelt sich sein peripheres Blickfeld, als habe er an einem Auspuffrohr gesaugt. Schwarze Vorhänge schieben sich vor ein silbernes Panorama und verengen seinen Kosmos auf einen senkrechten Strahl von kohlenbogenhaftem Glanz, eine Lichtsäule, einen auf SIE gerichteten, himmlischen Verfolgerscheinwerfer.
    Mrs. McTeague, die weiß, was gespielt wird, bittet ihn, Platz zu nehmen.
    Mary ist ein winziges, weißhäutiges, rothaariges Persönchen, das häufig kleine Anfälle von Befangenheit erleidet. Wenn das passiert, wendet sie den Blick von ihm ab und schluckt, und wenn sie schluckt, tritt an ihrem weißen Hals ganz kurz ein bestimmtes Band hervor, das die Höhlung zwischen Schulter und Ohr nachzeichnet. Es macht sowohl auf ihre Verletzlichkeit als auch auf die weiße Haut ihres Halses aufmerksam, die nicht auf fahle, kranke Weise weiß ist, sondern weiß in einem anderen Sinne, den Waterhouse erst seit kurzem überhaupt verstehen kann: Aufgrund seines kurzen Aufenthalts in Neuguinea nämlich, wo alles entweder tot und in Verwesung begriffen oder hell und bedrohlich oder unauffällig und unsichtbar ist, weiß Waterhouse, dass etwas derart Zartes und Durchscheinendes zu verletzlich und verlockend ist, um sich in einer Welt heftig miteinander konkurrierender Zerstörer behaupten zu können, und dass es sich aus seiner inneren Lebenskraft heraus nur einen Moment lang (von Jahren ganz zu schweigen) erhalten kann. Im Südpazifik, wo die Kräfte des Todes so mächtig sind, schüchtert ihn das auf unbestimmbare Weise ein. Ihre Haut, so makellos wie klares Wasser, ist eine verschwenderische Zurschaustellung pulsierender animalischer Kraft. Er will sie mit der Zunge berühren. Die ganze Biegung ihres Halses, vom Schlüsselbein bis zum Ohrläppchen, gäbe eine perfekte Wiege für sein Gesicht ab.
    Sie sieht, dass er sie anschaut, und schluckt erneut. Das Band spannt sich, dehnt ganz kurz die lebendige Haut ihres Halses und entspannt sich wieder, sodass nichts als Glätte und Unbewegtheit bleibt. Sie hätte ihm ebenso gut mit einem Stein den Schädel eindrücken und seinen Penis an einem Geländer festknoten können. Es muss sich um einen kalkulierten Effekt handeln. Aber offensichtlich hat sie es noch nie bei jemand anderem gemacht, denn sonst trüge sie einen Goldring an ihrem blassen linken Ringfinger.
    Mary Smith beginnt, sich über ihn zu ärgern. Sie führt die Teetasse an die Lippen. Sie hat sich so gedreht, dass das Licht auf ganz neue Weise ihren Hals streift, und diesmal kann er, als sie schluckt, sehen, wie ihr Kehlkopf sich hebt. Dann senkt er sich wieder und landet wie eine Dampframme auf den Resten seines Urteilsvermögens.
    Von oben hört man ein Poltern; ihr Cousin hat soeben das Bewusstsein wiedererlangt. »Entschuldigen Sie bitte«, sagt sie, und dann ist sie fort und als Erinnerung bleibt nur Mrs. McTeagues feines Porzellan

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