Cryptonomicon
dass die Wahrscheinlichkeit, in dieser Gegend auf Zeros zu stoßen, ungefähr so hoch ist, wie sie es über Zentral-Missouri wäre.
Man hat ihn darauf hingewiesen, dass er sich etwas Warmes anziehen soll, aber er hat nichts in dieser Art. Die Tipsy Tootsie hat kaum abgehoben, als ihm sein Fehler klar zu werden beginnt: Die Temperatur fällt wie eine Fünfhundert-Pfund-Bombe. Die Gefechtskanzel zu verlassen ist ihm physisch unmöglich. Selbst wenn er es könnte, hätte das nur seine Festnahme zur Folge; man hat ihn ohne Wissen der Offiziere, die das Flugzeug fliegen, an Bord geschmuggelt. In aller Ruhe beschließt er, seine bereits umfassenden Kenntnisse des Leidens um längere Unterkühlung zu erweitern. Nach ein paar Stunden verliert er entweder das Bewusstsein oder er schläft ein, und das hilft.
Geweckt wird er von rosafarbenem Licht, das gleichzeitig von überallher kommt. Das Flugzeug hat an Höhe verloren, die Temperatur ist gestiegen, sein Körper ist so weit aufgetaut, dass er das Bewusstsein wiedererlangt hat. Nach ein paar Minuten ist er imstande, die Arme zu bewegen. Er greift in den rosafarbenen Schimmer und rubbelt Kondenswasser von der Innenseite der Gefechtskanzel. Er zieht ein Taschentuch hervor, wischt das Ganze sauber und blickt nun geradewegs in den Schlund einer pazifischen Morgendämmerung hinab.
Der Himmel ist von schwarzen Wolken gestreift und gescheckt, die Tintenfischspritzern in einer karibischen Bucht gleichen. Eine Zeit lang ist es, als befände er sich mit Bischoff unter Wasser.
Runzelige Narben verunstalten den Pazifik in Schleifen und Linien und er wird an sein eigenes Fleisch erinnert. Aber die harten, gezackten Stücke arbeiten sich aus dem Narbengewebe heraus wie alte Granatsplitter: Korallenriffe, die aus einer flacher werdenden See auftauchen. Wärmer und wärmer. Er beginnt wieder zu zittern.
Irgendwer hat braunen Staub in den Pazifik gekippt, einen Riesenhaufen davon. Am Rand des Haufens liegt eine Stadt. Die Stadt schlägt einen Bogen um das Flugzeug, kommt näher. Wärmer und wärmer. Es ist Brisbane. Eine Landebahn schnellt empor und er denkt, sie wird ihm, wie der Welt größter Bandschleifer, den Arsch abrasieren. Das Flugzeug bleibt stehen. Er riecht Benzin.
Der Pilot entdeckt ihn, bekommt einen Wutanfall und schickt sich an, die MPs zu rufen. »Ich bin hier, um für Den General zu arbeiten«, murmelt Shaftoe zwischen blau gefrorenen Lippen hindurch. Der Pilot hat große Lust, ihm eine zu langen. Aber nachdem Shaftoe diese Worte geäußert hat, wird alles anders, die wütenden Offiziere halten ein, zwei Schritte mehr Abstand zu ihm, mäßigen ihre Sprache, lassen die Drohungen sein. Dem entnimmt Shaftoe, dass bei Dem General alles anders läuft.
Er erholt sich einen Tag lang in einer billigen Absteige, steht dann auf, rasiert sich, trinkt eine Tasse Kaffee und macht sich auf die Suche nach hohen Tieren.
Zu seinem großen Ärger erfährt er, dass Der General sein Hauptquartier nach Hollandia auf Neuguinea verlegt hat. Aber seine Frau und sein Sohn sowie ein großerTeil seines Stabes wohnen noch im Lennon’s Hotel. Shaftoe begibt sich dorthin und analysiert das Verkehrsmuster. Um in die pferdehufförmige Auffahrt einzubiegen, müssen die Autos um eine bestimmte Ecke ein Stückchen weiter kommen. Shaftoe sucht sich in der Nähe dieser Ecke einen guten Platz zum Herumlungern und wartet. Ein Blick durch die Fenster der sich nähernden Wagen, und er kann die Schulterstücke sehen, die Sterne und Adler zählen.
Als er zwei Sterne sieht, beschließt er, nicht länger zu warten. Er trabt die Straße entlang und kommt genau in dem Moment unter der Markise des Hotels an, in dem der Fahrer dem General die Tür aufreißt.
»’zeihung, General, Bobby Shaftoe meldet sich zum Dienst, Sir!« sprudelt er hervor und legt den perfektesten Gruß der Militärgeschichte hin.
»Und wer zum Teufel sind Sie, Bobby Shaftoe?«, fragt der General und würdigt ihn kaum eines Blickes. Er redet wie Bischoff! Der Kerl hat tatsächlich einen deutschen Akzent!
»Ich habe mehr Nips umgebracht als jedes Erdbeben. Ich habe eine Fallschirmspringer-Ausbildung. Ich spreche ein bisschen Japanisch. Ich kann im Dschungel überleben. Ich kenne Manila wie meine Westentasche. Meine Frau und mein Kind sind dort. Und ich weiß nichts mit mir anzufangen. Sir!«
In London oder D.C. wäre er nie so nah herangekommen, und wenn, hätte man auf ihn geschossen oder ihn festgenommen.
Aber das hier ist SOWESPAC,
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