Cryptonomicon
und so sitzt er am nächsten Tag im Morgengrauen in einer B-17 nach Hollandia, gekleidet in Army-Grün ohne Rangabzeichen.
Neuguinea sieht übel aus: ein gangränöser Drache mit einem tückischen, felsigen Rückgrat, das von Eis bedeckt ist. Der bloße Anblick lässt Shaftoe in einer unguten Mischung aus Unterkühlung und beginnender Malaria zittern. Das Ganze gehört jetzt Dem General. Shaftoe erkennt deutlich, dass ein solches Land nur von einem Mann erobert werden konnte, der völlig den Verstand verloren hat. Ein Monat in Stalingrad wäre vierundzwanzig Stunden dort unten vorzuziehen.
Hollandia befindet sich an der Nordküste dieses Ungeheuers und liegt – natürlich – den Philippinen zu. Es ist im ganzen Marine Corps bekannt, dass Der General sich dort einen Palast hat bauen lassen. Irgendwelche unbedarften Idioten glauben tatsächlich das Gerücht, dass es sich lediglich um einen kompletten Nachbau des Taj Mahal in doppeltem Maßstab, errichtet von versklavten Marines, handelt, aber Marines mit Grips wissen, dass es in Wirklichkeit ein viel weitläufigeres Bauwerk ist, errichtet mit Baumaterial, das von Lazarettschiffen der Navy gestohlen wurde, versehen mit Vergnügungspalais und Fickhäusern für seinen Stall voll asiatischer Konkubinen und einer mächtigen Kuppel, die so hoch ist, dass Der General hinaufsteigen und sehen kann, was die Nips mit seinem ausgedehnten Immobilienbesitz in Manila, 1500 Meilen nordwestlich, anstellen.
Bobby Shaftoe sieht durch die Fenster der B-17 nichts dergleichen. Er erblickt flüchtig ein großes, schön aussehendes Haus auf einem Berg über dem Meer. Er nimmt an, dass es sich lediglich um ein Wachhäuschen handelt, dass den gottverlassenen äußeren Rand der Domäne Des Generals markiert. Doch die B-17 kommt praktisch sofort auf einer Landebahn auf. Ein äquatoriales Miasma dringt in die Kabine ein. Man kommt sich vor, als atmete man Cream O’Wheat direkt aus einem blubbernden Bottich. Schon spürt Bobby Shaftoe Stuhldrang. Natürlich gibt es viele Marines, die finden, dass Army-Uniformhosen mit Kackflecken am besten aussehen. Shaftoe muss solche Gedanken aus seinem Kopf verbannen.
Sämtliche Passagiere (Colonels und Höheres) bewegen sich so, als wollten sie nicht in Schweiß geraten, obwohl sie bereits patschnass sind. Shaftoe hat große Lust, ihre fetten Sesselfurzerärsche die Gangway hinunterzutreten – er hat es eilig, nach Manila zu kommen.
Ziemlich bald nimmt ihn ein Jeep voller hoher Tiere auf der hinteren Stoßstange mit. Der Flugplatz ist noch immer von Fliegerabwehrkanonen umgeben und es sieht so aus, als wäre er vor nicht allzu langer Zeit bombardiert und beschossen worden. Es gibt dafür offensichtliche physische Anzeichen wie etwa Granattrichter, aber die meisten Informationen gewinnt Shaftoe aus der Beobachtung der Männer: Ihre Haltung, der Gesichtsausdruck, mit dem sie in den Himmel starren, verraten ihm genau, wie hoch der Bedrohungsgrad ist.
Kein Wunder, denkt er, als er sich an den Anblick des weißen Hauses auf dem Berg erinnert. Wahrscheinlich kann man das Ding bei Mondlicht sehen, Herrgott! Es muss von Tokio aus sichtbar sein! Es lädt ja förmlich dazu ein, unter Beschuss genommen zu werden.
Dann, während der Jeep im ersten Gang den Berg hinaufzockelt, kommt er dahinter: Das Ding ist bloß ein Köder. Der eigentliche Kommandoposten Des Generals muss ein Netz tiefer, unterm Dschungelboden verborgener Tunnels sein, und dort müsste man dann auch nach den asiatischen Konkubinen etc. suchen.
Die Fahrt den Berg hinauf dauert ewig. Shaftoe springt ab und lässt den jaulenden Jeep, und den davor, bald hinter sich. Dann ist er allein und marschiert durch den Dschungel. Er wird einfach den Fahrspuren folgen, bis sie ihn geradewegs zu dem geschickt getarnten Schacht bringen, der in das Hauptquartier Des Generals hinabführt.
Der Fußmarsch lässt ihm reichlich Zeit, ein paar Zigaretten zu rauchen und die ungeminderte Albtraumhaftigkeit des Dschungels von Neuguinea zu genießen, dem gegenüber sich Guadalcanal, das er bislang für den schlimmsten Ort auf Erden hielt, wie eine taufeuchte Wiese voller Häslein und Schmetterlinge ausnimmt. Nichts ist zufriedenstellender als der Gedanke, dass die Nips und die United States Army sich hier ein paar Jahre lang gegenseitig die Fresse poliert haben. Allerdings schade, dass die Aussies da reingezogen werden mussten.
Die Fahrspuren führen ihn geradewegs zu der großen weißen Tontaube von einem Haus oben
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