Cryptonomicon
Dozent etwas sagt wie etwa: Staub ist schwerer als Luft, deshalb fällt er, bis er am Boden ankommt. Mehr braucht man über Staub nicht zu wissen. Die Ingenieure hören das gern, denn sie mögen es, wenn Probleme mausetot und aufgespießt sind wie Schmetterlinge hinter Glas. Die Physiker hören das gern, denn sie möchten glauben, sie verstünden alles. Niemand stellt knifflige Fragen. Und draußen vor dem Fenster tanzen die Dust Devils weiterhin auf dem Campus herum.
Jetzt, wo Randy zum ersten Mal seit Jahren wieder in Whitman ist und beobachtet, wie (da Winter ist) Ice Devils im Zickzack über die weihnachtlich leer gefegten Straßen sausen, ist er geneigt, sich das Phänomen etwas genauer anzuschauen, was ungefähr so aussieht: Diese kleinen Windhosen, diese Luftwirbel, sind bedingt durch Hügel und Täler, die vermutlich viele Kilometer windwärts liegen. Im Grunde befindet sich Randy, der von außerhalb der Stadt hereingeschneit ist, in einem mobilen Gemütszustand und sieht die Dinge aus der Sicht des Windes – nicht aus der stationären Sicht des kleinen Jungen, der nur selten aus der Stadt herauskam. Aus der Sicht des Windes ist er selbst stationär und die Hügel und Täler sind bewegliche Dinge, die den Horizont verstellen und dann auf ihn, den Wind, zurasen, ihn belästigen und weiterziehen und es ganz und gar ihm überlassen, hinterher mit den Folgen fertig zu werden. Und einige dieser Folgen sind kleine Staub- oder Eistromben. Stünde mehr Zeug im Weg – z. B. ausgedehnte Städte mit ihren Gebäuden oder Wälder voller Blätter und Äste -, wäre das das Ende der Geschichte; der Wind käme völlig aus dem Konzept und würde aufhören, als zusammenhängendes Etwas zu existieren und sämtliche aerodynamischen Abläufe würden sich auf der nicht mehr wahrnehmbaren Ebene von Mikro-Strudeln um Tannennadeln und Autoantennen herum abspielen.
Ein typisches Beispiel dafür ist der Parkplatz vor Waterhouse House, der normalerweise voller Autos und deswegen ein perfekter Windkiller ist. An der dem Wind abgekehrten Seite eines vollen Parkplatzes wird man nie Dust Devils sehen, nur ein allgemeines Verebben von totem, abgeflautem Wind. Aber es sind Weihnachtsferien und auf diesem Platz, der als Ausweichfootballfeld geeignet wäre und mithin die Größe eines Truppenübungsplatzes hat, stehen nur drei einsame Autos. Der Asphalt hat die graue Farbe eines ausgeschalteten Computerbildschirms. Ein flüchtiger Eishauch wirbelt so frei darüber hinweg wie der Glanz von Benzin auf warmem Wasser, außer wenn er auf die vereisten Särge dieser drei verlassenen Fahrzeuge stößt, die offensichtlich schon seit einigen Wochen auf dem ansonsten leeren Parkplatz stehen, denn die anderen Autos sind allesamt in die Weihnachtsferien gefahren. Jedes Auto verursacht für sich ein System von Strudeln und stehenden Luftsäulen, das sich über mehrere hundert Meter mit dem Wind erstreckt. Und der ist hier ein glitzerndes, schmirgelartiges Etwas, ein immer währendes, Gesichter abraspelndes, Augen reizendes Element im Gewebe des Raum-Zeit-Kontinuums, bewohnt von weiten platinblonden Feuerbögen, die auf die tief stehende Wintersonne ausgerichtet sind. Der Grund dafür ist das kristalline Wasser, das ständig darin schwebt: Eissplitter, die kleiner als Schneeflocken sind – vermutlich einzelne Schneeflockenbeinchen, die abgeschnitten und in die Luft getragen wurden, als der Wind schnalzend und klirrend über die Kämme kanadischer Schneedünen fegte. Einmal in der Luft, bleiben sie auch dort, es sei denn, sie werden wie durch eine Röhre in ein Luftloch gesogen: ins Auge einer Windhose oder in die windstille Randschicht der Parkplatztotenwache bei einem Autoleichnam. Und so sind die Luftstrudel und stehenden Wellen über die Wochen hin sichtbar geworden, wie dreidimensionale Darstellungen ihrer selbst in der virtuellen Realität.
Über dieser Szene erhebt sich Waterhouse House, ein Wohnheimblock, von dem niemand, der prominent genug wäre, dass man ein Wohnheim nach ihm benennt, wollte, dass es nach ihm benannt würde. Aus seinen unter klimatischen Gesichtspunkten unangemessen vielen Panoramafenstern scheint genau das unangenehme grünliche Licht, das vor Algenbewuchs schäumende häusliche Kleinaquarien ausstrahlen. Hausmeister gehen mit Maschinen so groß wie Hot-Dog-Wagen hindurch, kämpfen mit den kilometerlangen Windungen daumendicker orangefarbener Stromkabel und entfernen unter Dampfdruck erbrochenes Bier und künstliche
Weitere Kostenlose Bücher