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Cryptonomicon

Cryptonomicon

Titel: Cryptonomicon Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Neal Stephenson
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Popcornbutterlipide aus den dünnen grauen Matten, die Randy, als er hier war, weniger als Teppiche denn als Anspielungen auf Teppichstoff oder Teppichvorboten erschienen. Als Randy sein Auto jetzt durch die Haupteinfahrt lenkt, vorbei an dem großen Grabstein mit der Aufschrift WATERHOUSE HOUSE, muss er unwillkürlich durch die Windschutzscheibe und die vorderen Fenster des Wohnheims hindurch direkt auf das riesige Porträt seines Großvaters, Lawrence Pritchard Waterhouse, schauen – einer von etwa einem Dutzend inzwischen zumeist verstorbener Personen, die um den inoffiziellen Titel »Erfinder des digitalen Rechners« wetteifern. Das Porträt ist in der Hohlblockmauer der Eingangshalle festgeschraubt und eingeschlossen hinter einer zentimeterdicken Plexiglasscheibe, die alle paar Jahre ausgetauscht werden muss, da sie vom wiederholten Schrubben und von kleinen mutwilligen Beschädigungen trüb wird. Durch diesen milchigen Katarakt betrachtet, ist Lawrence Pritchard Waterhouse ein grimmig dreinschauender Herr in prächtigem Doktorentalar. Einen Fuß hat er auf irgendetwas hochgestellt, seinen Ellbogen auf das erhöhte Knie gestützt, den Talar hinter den anderen Arm gerafft und die Faust in die Hüfte gestemmt. Das soll wohl eine Art dynamischer »Ich beuge mich in den Wind der Zukunft«-Haltung sein, doch für Randy, der im Alter von fünf Jahren bei der Enthüllung dabei war, geht davon eher eine skeptische Schwingung im Sinne von »Was zum Teufel tun denn all die kleinen Leute da unten?« aus.
    Außer den drei toten Autos in ihren Schalen aus hartem, mit Staub vermischtem Eis gibt es auf dem Parkplatz nichts außer etwa zwei Dutzend antiken Möbelstücken und ein paar anderen Schätzen wie einem kompletten Teeservice aus Sterlingsilber und einem vom Zahn der Zeit angenagten Schrankkoffer. Als Randy mit seinem Onkel Red und seiner Tante Nina auf den Parkplatz fährt, bemerkt er, dass die ShaftoeJungs ihre Aufgabe erfüllt haben, wofür sie einen Mindestlohn plus fünfundzwanzig Prozent für den ganzen Tag bekommen werden; sie haben nämlich all diese Teile von da, wo Onkel Geoff und Tantchen Anne sie hingestellt hatten, an den Ursprung zurückgeschleppt.
    In einer Geste der Kameradschaft und/oder onkelhaften Jovialität hat Onkel Red sehr zum unübersehbaren Verdruss von Tante Nina den Beifahrersitz des Acura für sich in Anspruch genommen und Tante Nina damit auf den Rücksitz verbannt, wo sie sich offensichtlich psychisch isolierter fühlt, als es die Situation zu rechtfertigen scheint. Sie rutscht hin und her und versucht, erst Randys und dann Onkel Reds Blick im Rückspiegel zu fixieren. Randy hat sich darauf verlegt, während der zehnminütigen Fahrt vom Hotel hierher nur auf seine Außenspiegel zu vertrauen, denn wenn er in den Innenrückspiegel schaut, sieht er ständig Tante Ninas erweiterte Pupillen, die wie der Doppellauf eines Gewehrs in seinen Hals zeigen. Durch das Heizund Entfrostergebläse entsteht im hinteren Teil eine Zone akustischer Isolation, die Tante Nina zusätzlich zu ihren ohnehin schon massiven Gefühlen einer fast tierischen Wut und Anspannung auch noch launenhaft und offenbar gefährlich gemacht hat.
    Randy steuert geradewegs auf den Ursprung zu, den Punkt, in dem die x - und die y -Achse sich kreuzen und der durch einen leichten Pfosten mit seinem ganz eigenen Multiton-System vom Wind abgesetzter Strudel und Luftsäulen markiert ist.
    »Sieh mal«, sagt Onkel Red, »wir wollen hier lediglich sicherstellen, dass das Erbe deiner Mutter, falls das überhaupt die korrekte Bezeichnung für die Besitztümer einer Person ist, die nicht tot, sondern nur auf Dauer in ein Pflegeheim umgezogen ist, gleichmäßig unter ihren fünf Sprösslingen verteilt wird. Habe ich Recht?«
    Das gilt zwar nicht Randy, aber in dem Bemühen, eine geschlossene Front zu zeigen, nickt er trotzdem. Er hat genau zwei Tage lang mit den Zähnen geknirscht; die Stellen, wo seine Kiefermuskeln in seinem Schädel verankert sind, sind zu Brennpunkten gewaltiger, einen wogenden und pulsierenden Schmerz ausstrahlender Systeme geworden.
    »Ich denke, du wirst mir zustimmen, dass eine gleichmäßige Aufteilung alles ist, was wir wollen«, fährt Onkel Red fort. »Stimmt’s?«
    Nach einer quälend langen Pause nickt Tante Nina. Randy schafft es, im Rückspiegel einen kurzen Blick in ihr Gesicht zu werfen, als sie wieder eine dramatische Seitwärtsbewegung vollführt, und sieht darin einen Ausdruck fast abstoßender

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