Cryptonomicon
Ängstlichkeit, so als könnte dieses Konzept der gleichmäßigen Aufteilung irgendein Jesuitenfallstrick sein.
»Der interessante Teil kommt aber jetzt erst«, sagt Onkel Red, der Leiter des Fachbereichs Mathematik am Okaley College in Macomb, Illinois, ist. »Wie definieren wir ›gleichmäßig‹? Genau darüber haben deine Brüder und Schwäger und Randy und ich gestern bis spät in die Nacht diskutiert. Einen Stapel Banknoten aufzuteilen wäre kein Problem, denn Banknoten haben einen Geldwert, der groß und deutlich auf ihnen draufsteht, und Geldscheine sind austauschbar – niemand entwickelt eine gefühlsmäßige Bindung zu einem speziellen Dollarschein.«
»Deswegen sollten wir einen objektiven Schätzer bestellen-«
»Aber niemand wird mit dem, was der Schätzer sagt, einverstanden sein, Nina, Liebes«, sagt Onkel Red. »Außerdem wird der Schätzer die emotionale Dimension völlig außer Acht lassen, und die spielt hier offensichtlich eine große Rolle, oder jedenfalls scheint es so, wenn man den, äh, sagen wir melodramatischen Charakter der, äh, Diskussion bedenkt, falls das Wort Diskussion nicht zu fein ist für das, was manch einer eher als, na ja, einen Frauenringkampf bezeichnen würde, den du und deine Schwestern euch gestern den ganzen Tag über geliefert habt.«
Randy nickt fast unmerklich. Er fährt sein Auto neben die Möbel, die wieder um den Ursprung herumstehen, und parkt es dort. Am Rand des Parkplatzes, nicht weit von der Stelle, wo die y-Achse (die hier den angenommenen emotionalen Wert bezeichnet) auf eine Stützmauer trifft, steht, von innen ganz beschlagen, der Schlitten der Shaftoes.
»Die Frage lässt sich«, sagt Onkel Red, »auf ein mathematisches Problem reduzieren: Wie teilt man eine inhomogene Menge von n Objekten unter m Menschen (beziehungsweise Paaren) auf; anders gesagt, wie untergliedert man die Menge so in m Teilmengen ( T 1 , T 2 , ... ,T m ) , dass alle Teilmengen einen möglichst gleichen Wert besitzen?«
»So schwierig kommt mir das gar nicht vor«, hebt Tante Nina mit schwacher Stimme an. Sie ist Professorin für qwghlmianische Linguistik.
»Das ist sogar erschreckend schwierig«, sagt Randy. »Es hat große Ähnlichkeit mit dem Rucksackproblem, das so schwer zu lösen ist, dass es als Grundlage für kryptographische Systeme benutzt worden ist.«
»Und dabei wurde noch nicht einmal berücksichtigt, dass jedes einzelne Paar den Wert jedes Einzelnen der n Objekte unterschiedlich einschätzen würde!« ruft Onkel Red aus. Randy hat inzwischen den Motor abgestellt und die Fenster fangen an zu beschlagen. Onkel Red zieht einen Fausthandschuh aus und beginnt, Zahlen auf die angelaufene Windschutzscheibe zu schreiben, als wäre sie eine Tafel. »Für jeden der m Menschen (oder Paare) existiert ein Wert-Vektor W der n Elemente, wobei W 1 der Wert ist, den dieses bestimmte Paar dem Gegenstand Nummer 1 (nach einem willkürlichen Aufzählungsmodus) beimisst und W 2 der Wert, den es Gegenstand Nummer 2 geben würde und so weiter bis zum Gegenstand Nummer n . Diese m -Vektoren bilden zusammengenommen eine Wertmatrix. Nun können wir die Bedingung einführen, dass jeder Vektor dieselbe Endsumme ergeben muss, das heißt wir können für die ganze Sammlung von Möbeln und anderen Gegenständen einfach einen hypothetischen Wert einsetzen und die Bedingung aufstellen, dass
wobei τ eine Konstante ist.«
»Aber über den Gesamtwert könnten wir doch auch alle unterschiedlicher Meinung sein!«, wirft Tante Nina mutig ein.
»Das hat mathematisch gesehen keine Bedeutung«, flüstert Randy.
»Es ist nur ein willkürlicher Skalenfaktor!«, sagt Onkel Red mit vernichtender Miene. »Deswegen habe ich ja, obwohl ich anfangs anderer Meinung war, am Ende doch deinem Bruder Tom zugestimmt, dass wir es so machen sollten wie er und die anderen relativistischen Physiker und einfach τ = 1 setzen. Was uns dazu zwingt, mit Brüchen zu hantieren, eine Tatsache, die mir für manche der Damen, unsere anwesende Begleitung natürlich ausgeschlossen, ziemlich verwirrend erschien, die aber zumindest die Willkürlichkeit des Skalenfaktors betont und dazu beiträgt, diese Quelle der Verwirrung zu beseitigen.« Onkel Tom spürt in Pasadena für das Jet Propulsion Laboratory Asteroiden auf.
»Da steht die Gomer-Bolstrood-Truhe«, entfährt es Tante Nina, die ein Guckloch in den Beschlag auf ihrem Fenster rubbelt und es dann durch kreisrunde Bewegungen mit dem Ärmel ihres Mantels erweitert, als
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